Friday, 26 October 2018

247 Kleinere Schriften XIL 1) Freiheit 2) In diesem Land sind alle Dinge ein bisschen kleiner! 3) Die fehlerhafte Vorstellung von Aufrüstungspolitik als wirtschaftlicher Motor
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1) Freiheit
2) In diesem Land sind alle Dinge ein bisschen kleiner!
3) Die fehlerhafte Vorstellung von Aufrüstungspolitik als wirtschaftlicher Motor


1) Freiheit

Der Athener sah sich um und fand herum nur Barbarismus und Tyrannei. Er behandelte oft seine Kinder und Frau nicht besser, als seine Haustiere, aber er war mit fünfhundert anderen gleich. Einmal im Monat setzten diese sich zusammen und besprachen öffentliche Angelegenheiten. Dieser Traum des Menschen von Gleichgerechtigkeit sollte nicht allzu lange dauern, doch war er der Menschheit ein Beispiel.
Darnach wurde es für zweitausenddreihundert Jahre dunkel, zuerst die römischen Kaiser, dann rutschte alles noch weiter ab mit der Völkerwanderung, später das dunkle, christliche Mittelalter gefolgt von Königen, die leben wollten, wie Götter und starben, wie alle anderen. Mit dem Nationalismus hatte es seine schauderhafteste Tiefe erreicht. Millionen andersdenkende, andersaussehende fielen diesem Wahnsinn zum Opfer.
Erst nach neunzehnhundertachtundsechzig sollte die Worte Freiheit und Gleichberechtigung wieder einen Sinn bekommen. Frauen, Farbige, Andersdenkende, Andersorientierte spürten den Duft dieses Gefühls. Der neue Traum auf einer höheren Stufe dauerte nur vierzig Jahre.
Vielleicht muss der Mensch diesmal nur zweihundertdreißig Jahre warten, um sich wieder seiner gehoben Natur hingeben zu können.


2) In diesem Land sind alle Dinge ein bisschen kleiner!

Eine Fahrradtour um den größten See Osteuropas, den Plattensee, die Einheimischen nennen ihn das ungarische Meer. Die nördliche Seite wird von Felsen begrenzt, die Straßen und Wege am Ufer ziehen sich in Schlangenbewegungen dahin. Kleinere Ausflüge in das dahinterliegende Hügelland bieten dem Besucher manchen guten Ausblick auf die Umgebung. Wieder angekommen am südlichen Ufer, an dem Wochenendhäuser den Zugang zum Ufer fast schon ganz verbieten, wird der Besucher gebeten, doch einen Blick auf die nördliche Seite zu richten, um den einen oder anderen Hügel zu erkennen, den er dort besucht hatte. Versperrt ein Wochenendhaus gerade die Sicht, so stellt sich die Frage, wohin der Berg denn plötzlich verschwunden sei. „Hinter dem Haus!“ erklingt die aufklärende Stimme. Ja richtig, das Land in dem die Dinge klein sind und die Berge hinter dem Haus stehen.


3) Die fehlerhafte Vorstellung von Aufrüstungspolitik als wirtschaftlicher Motor

Immer wieder wird erwähnt, dass Aufrüstungspolitik die Wirtschaft eines Landes ankurbelt, sozusagen zum Wirtschaftswachstum führt. Der folgende Artikel soll dazu beitragen, diese Fehlinterpretation der Geschehnisse in einem anderen Licht zu betrachten.
Franklin D. Roosevelt (Präsident 1933 – 1945): Als er neunzehnhundertdreiunddreißig die Führung der Vereinigten Staaten von Amerika übernahm befand sich die Welt in einer Wirtschaftskrise. Auf Rat von John Maynard Keynes versuchte er nun durch Waffenaufrüstung, Bau von Straßen, Brücken und so weiter die amerikanische Wirtschaft wieder in Lauf zu bringen (New Deal Politik). Dies klingt eigentlich logisch. Die Infrastruktur des Landes wird verbessert, dabei bekommen viele Arbeit, zahlen Steuern, können einkaufen, womit Geld in Umlauf kommt. Diese Art innerer Ventilator hat nur einen Fehler, er verbraucht mehr Energie, als er Windenergie produziert. Wäre der zweite Weltkrieg nicht ausgebrochen, nachdem fast alle Industrieländer mit Ausnahme der U.S.A. unter riesiger Zerstörung ihrer Produktionsmittel litten, und dadurch die Vereinigten Staaten weltweit in eine Monopolsituation gerieten und somit die Weltwirtschaft kontrollieren konnten, hätte die hohe Verschuldung zu einem Staatsbankrot und somit zu einer Vertiefung der Krise geführt.
Ronald Reagan (Präsident 1981 – 1989): Es ist schwierig zu sagen, ob er wusste, dass die Sowjetunion wirtschaftlich am Ende ist, oder einfach auf der Weltkarte „Starwars“ spielte. Tatsache ist, dass seine Aufrüstungspolitik den Zusammenbruch des kommunistischen Blocks beschleunigte. Durch die Beendigung der Teilung der Welt in zwei Wirtschaftsteile ergaben sich plötzlich Möglichkeiten der Investition, neue Märkte und somit ein Wirtschaftswachstum. Wäre der Ostblock nicht zusammengebrochen, wären auch hier die Vereinigten Staaten in der Staatsverschuldung versunken.
Donald Trump (Präsident 2017 - ….): Vielleicht anhand dieser geschichtlichen Erfahrungen und der Hoffnung auch so ein historisches Glück zu haben, versucht der dies zeitige Präsident mit seiner neuesten Aufrüstungspolitik, Handelskrieg und Kriegsspiel auf der Landkarte, die alte Vormachtstellung der U.S.A. wieder aufzubauen.

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Tuesday, 16 October 2018

246 Kleinere Schriften XL 1) Asien, ferner Osten 2) Wanderschaft in der Ukraine
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1) Asien, ferner Osten
2) Wanderschaft in der Ukraine


1) Asien, ferner Osten

Ein Sprachlehrer unterrichtet einen in Europa oder Amerika lebenden Asiaten. Die Aufgabe ist nicht leicht, obwohl der Asiate eigentlich fließend Englisch spricht, aber er hat einfach keine Ahnung von Grammatik. Wie konnte er dann Englisch lernen? Die asiatischen Schulen arbeiten noch immer nach preußischen Grundsätzen. Von Pädagogik kann hier nicht die Rede sein. Um chinesische, japanische oder koreanische Schrift zu lernen, müssen ungefähr dreitausend Schriftzeichen auswendig gelernt werden. Soviel auswendig zu lernen ist grundsätzlich der größte Feind pädagogischer Methoden. Die meisten asiatischen Kinder bleiben einfach mittelmäßige Befehlsausführer, die wenigen, die herausragen haben ein Gehirn, wie ein Datenspeicher. So lernen sie auch Englisch. Sie lernen dreitausend Sätze mit fünftausend Wörtern auswendig, sprechen aus diesem Grund eigentlich ganz gut zum Beispiel Englisch, haben aber meistens keine Ahnung, warum sie was und wie sagen. Der europäische oder amerikanische Lehrer müsste bei so einem Schüler zuerst einmal diesen Unterwerfungsgeist brechen, der nächste Schritt bestände darin, den Begriff Schönheit der Sprache in den Unterricht einzubauen, um das nur auf Nützlichkeit ausgerichtete Denken mit Interesse am Geist einer Sprache und Kultur zu ersetzen.
Er kommt also ins Haus des Asiaten und wird mit ausgestreckter Hand begrüßt (so viel hat der Asiate schon übernommen). Die Verbeugung des Asiaten ist sehr tief, der Lehrer ist für ihn ein kleiner Gott. Ein Intellektueller mit einem bisschen alternativen oder lockeren Aussehen hat von vornherein fast keine Chance. Die Frau des Schülers steht verbeugt hinter ihrem Mann die Hände vor sich in ihrem Kimono versteckt, die Augen auf den Boden gerichtet. Der Lehrer wird in die gute Stube geführt in dem es einen Tisch und zwei Stühle gibt. Während Schüler und Lehrer einander gegenüber sitzen, zwischen sich den Tisch, hockt die Frau des Asiaten in der Ecke und macht für ihren Mann Aufzeichnungen, spricht aber nie ein Wort. Der Asiate stellt fast nie eine Frage, der Lehrer muss also herausfinden, was der Schüler vielleicht nicht weiß oder noch nicht verstanden hat. Jede Korrektur empfindet der Asiate fast wie eine Erniedrigung. Er lernt sehr fleißig, aber eigentlich alles nur auswendig von den Aufzeichnungen, die seine Frau in der Ecke für ihn gemacht hat. Ein solcher Schüler ist für einen preußisch denkenden Lehrer ein siebter Himmel, für einen modernen in Pädagogik ausgebildeten auf Kreativität aufbauenden aber eine Katastrophe.


2) Wanderschaft in der Ukraine

Es war Freitag vier Uhr nachmittags und seine Vorräte waren fast zu Ende. Er wusste, dass er am Wochenende nirgends einkaufen konnte, also unbedingt ein Dorf und dort ein Geschäft finden musste, und zwar ein privates, kein staatliches. In staatlichen Geschäften gab es außer ungenießbarem Schwarzbrot und ein paar Einmachgläsern mit Kompott oder Fleisch meist nichts. Endlich stiegen ein paar Dächer von Lehmhäusern hinter einem Hügel auf, er beschleunigte seine Schritte. Ein kleines Häuschen mit der Aufschrift „магазин“ = Geschäft, sah ihm entgegen. Als er näher kam, hörte er von drinnen durch die offene Tür lautes Gelächter und Geschrei. Drei Frauen, zwei hinter dem Pult und eine davor, auf dem Pult Speck, Brot, Tomaten, Zwiebeln und so weiter, und ein paar Flaschen Wodka und Mineralwasser. Die meisten Wodkaflaschen waren schon leer. Er stand am Eingang und fragte höflich, ob er noch etwas einkaufen könnte. In dem lauten Gelächter gingen die verständlichen Worte unter. Dieses Geschäft war seine einzige Möglichkeit, noch etwas zu bekommen, deshalb trat er auf die Schwelle.
Als er da so stand, nahm die Frau, vor dem Pult stand, eine noch halb volle Wodkaflasche, füllte ein großes Limonadenglas und drückte es dem Fremden in die Hand. Den ganzen Tag hatte er nichts gegessen und sollte jetzt Wodka trinken. Als das Glas so anschaute, wurde das Gelächter der alten Frauen immer lauter. Dann lehrte er das ganze Glas, nahm keine Luft, sondern aß sofort ein Stück Tomate (auf diese Weise brennt der Wodka im Hals nicht). Die alten Frauen machten große Augen, das hätten sie von einem so dahergelaufenen Fremden doch nicht erwartet. Nach kurzer Stille des Erstaunens, brachen die alten Frauen wieder in riesigem Gelächter aus, hielten sich die Bäuche, brachen vor Lachen fast zusammen, und eine klopfte dem Fremden fest auf die Schulter, mit den Worten: „Wie mein Sohn!“ Dann nahm eine hinter dem Pult einen Plastiksack, packte Brot, Käse, Milch, Wurst, Tomaten, Speck und so weiter in den Sack, bis er voll war und überreichte ihn dem Fremden mit einem großen Lächeln im Gesicht. Noch lange hörte er das Gelächter aus dem kleinen Häuschen, als er sich wieder auf den Weg machte. Nach zehn Minuten begann der Wodka, langsam zu wirken. Er ging noch eine paar hundert Meter, dann fiel er unter einen Baum und schlief ein. Als er wieder aufwachte, war es dunkle Nacht und neben ihm sein Rucksack und der gefüllte Sack mit Lebensmitteln.

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245 Kleinere Schriften IXL Nordafrika
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Nordafrika:

Hoch in den Bergen lebte er mit seiner Frau. Im Umkreis von fünfhundert Metern, gab es noch ein paar Häuser. Wenn er nicht verstand, was ihm der Deutsche sagte, ließ er es sich aufschreiben, ging ins Haus und zeigte es seiner Frau, die es ihm übersetzte. Ihr Vater war Gastarbeiter in Deutschland, sie war dort geboren und in die Schule gegangen. Mit dreizehn brachte sie der Vater nach Nordafrika zurück, um sie dort mit einem Einheimischen zu verheiraten.

Es ist ungefähr neun Uhr morgens. Vor dem Haus sitzen Männer und rauchen ihre Sipsi mit Kif-Kif, während eine Gruppe Frauen mit Kindern sich in die Berge begeben. Am Nachmittag um drei Uhr kommen sie mit einem großen Pack Holz auf dem Rücken zurück, während die Männer noch immer dort sitzen und darauf warten, dass sie endlich etwas Warmes zum Essen bekommen. Der Deutsche langweilt sich und fragt seinen Gastgeber, ob er nicht einen Ball hätte. Der Einheimische schaut ihn ein bisschen seltsam an und fragt, wozu er so etwas brauche. „Wir könnten ein bisschen Fußball spielen, anstatt unnütz hier rumzusitzen.“ „Fußball ist etwas für Kinder, oder für Leute, die nichts zu tun haben.“ war die Antwort des verärgerten Gastgebers.

In der Nähe des Zentrums der Stadt gibt es eine kleine Grünanlage von zweihundert Meter Durchmesser, um diese läuft ein mehrspuriger Einbahnverkehr. Der Deutsche sucht einen Taxistand und fragt einen Einheimischen. „Stop the taxi from the road!“ Die Taxis fahren dort immer im Kreis herum, um den Leuten zu zeigen, dass sie funktionieren. Ein Taxi, das nicht fährt, funktioniert nicht.

Du kennst viele Sprachen und verstehst viele Leute. Aber dein Hund ist klüger, als du. Er verständigt sich mit allen Hunden in der Welt. Das klingt fast, wie eine alte, arabisch Weisheit.

Geschafft! Endlich in einem Taxi, obwohl der doppelte Fahrpreis bezahlt werden musste, weil der Fahrer sonst nicht bereit gewesen wäre, auch den Hund mitzunehmen. Im Taxi hängen verschiedene Schilder aus. Eines liest sich so: „Défense de cracher!“ Während der Fahrer immer wieder einmal anhält um für die hinteren Plätze neue Fahrgäste aufzunehmen. Im Allgemeinen hat ein Taxi sechs Beifahrerplätze: zwei vorne auf dem Beifahrersitz und vier hinten auf den Rücksitzen. Für den Kofferraum findet sich keiner.

Es ist Winter und alles mit Schnee bedeckt. Der kleine, barfüßige Nordafrikaner führt den Europäer durch die Berge um das kleine Dorf herum und erfreut sich seiner Lehreraufgabe, er will dem Fremden die Sprache der Einheimischen beibringen. Er selbst geht fast nie in die Schule, weil er seinem Vater bei der Feldarbeit helfen muss. Deshalb sind seine Fremdsprachenkenntnisse fast nicht vorhanden. Auf dem kleinen Ausflug zeigt er auf Spuren im Schnee, Hasenpfoten und benennt es mit der einheimischen Bezeichnung. Der Europäer will ein guter Schüler sein und wiederholt gehorsam das fremdklingende Wort. Beim nächsten Schneefeld stellt der Europäer seinen Fuß in den Schnee und zeigt darauf. Der junge Nordafrikaner schaut ein bisschen verärgert, weil dies nicht seinen Vorstellungen entspricht, aber lässt sich überreden und gibt auch dieser Spur seinen Namen. Darauf folgt die Hand. Am Ende setzt sich der Europäer kurz in den Schnee, steht wieder auf und zeigt darauf. Dies ist für den Jungen zu viel. Nach dem Ausflug trifft der Europäer diesen Nordafrikaner nie wieder.

Es ist Sommer, ein schöner Tag, der Europäer kommt aus dem Haus, um einen Ausflug zu machen. Der Gastgeber zeigt mit dem ausgestreckten Arm auf eine Bergspitze, mit den Worten, dies sei der höchste im ganzen Land, aber er selbst sei noch nie dort oben gewesen. Der Fremde macht sich auf den Weg. Nach fünf Stunden hat er die Spitze erreicht. Vor seinen Augen öffnet sich ein wunderbarer Ausblick. Aber mit Enttäuschung muss er feststellen, dass es weiter südlich schneebedeckte Bergspitzen gibt. Er nimmt ein paar Brocken von weiter unten und bringt sie nach oben. Wenn dies jeder so macht wird aus diesem Hügel vielleicht doch noch ein richtiger Berg.

Müll begleitet die Landstraße, Plastik verwest nicht, wie die früher benutzten, natürlichen Stoffe, wie Holz und Tierfelle. Nach einer Zeit vermehrt sich die Müllmenge, bildet langsam die Form eines umgedrehten Trichters in den man hineinfährt. Der Trichter wird immer breiter und dann kommt die kleine Stadt in Sicht.

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Saturday, 13 October 2018

244 Kleinere Schriften XXXVIII Ausgestiegen
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Ausgestiegen

Sie standen draußen vor der Kneipe, darauf wartend, wieder hineingelassen zu werden. Die Besucher waren fast ausschließlich Ausländer, Deutsche. Was brachte diese jungen Leute zwischen achtzehn und fünfundzwanzig dazu in einem ärmeren Land, als ihrem Heimatland, zu betteln, Bilder auf die Straße zu malen, Blutplasma zu spenden und den Tag mit Trinken, Rauchen und Herumliegen zu verbringen? Vielleicht die südliche Wärme und die Möglichkeit, aus einer Gesellschaft auszusteigen, mit der sie sich nicht identifizieren konnten oder wollten. Sie sahen zu, wie der einheimische, spanische Wirt zuerst die alten Holzspäne vom Boden aufkehrte, schnell aufwischte, die Fenster aufmachte, damit es schneller trocknete und dann wieder neue Holzspäne auf den kahlen, kalten Fliesenboden streute. Das ganze erinnerte nur deshalb an eine Kneipe, weil es mehr Fenster als in einer Wohnung, eine Schenke mit ein paar Zapfhähnen, einer Kaffeemaschine und ein paar Stühlen mit Tischen gab. Die Tische waren wichtig, nicht um ihre Getränke darauf zu stellen, sondern um die kleinen Taschen, in denen diese Aussteiger oder vielleicht auch Abgerutschte ihre wenige Habe verstauten, vor dem Schmutz auf dem Boden zu schonen. Sie auf den Boden zu stellen, wäre nicht ratsam gewesen, hatten doch auch selbst sie sich sehr schnell die örtliche Gewohnheit angeeignet, auf den Boden zu spucken, oder Müll aller Art ganz einfach neben sich fallen zu lassen. Während sich jeder ohne weiteres auf der Straße auf den Boden setzte um zu betteln oder Bilder zu malen, scheute sich da in der Kneipe jeder davor. Mit Sandalen war es besonders unratsam, sich in die Kneipe zu wagen. Es war ein Treffpunkt für sie, die da die gleiche Sprache beherrschten, wenn sie um die Fiesta-Zeit oder am frühen Abend ihr kleines, angeschafftes Geld in Alkohol und Rauchbares umsetzten, bevor sie sich dann in der Dunkelheit einen Schlafplatz in irgendeinem verfallenen Haus, auf der alten Burg, in einem Park oder am Strand suchten. Für langhaarige Hippies waren sie ein bisschen zu jung, wir schreiben die achtziger Jahre in Málaga. Franco war fast zehn Jahre gestorben und mit der darauffolgenden Grenzöffnung fanden sich nicht nur reiche Touristen, Investoren, Rentner, die ein billiges Haus für ihren Lebensabend erstanden, und Abenteurer ein, sondern auch Aussteiger. Sie alle fühlten, dass sich im alten, steifen Europa der Nachkriegszeit etwas ändern müsste. Der Landweg nach Marokko, in das Drogenhändler und Hippies den Cannabis gebracht hatten, war nur noch von einer dreizehn Kilometer breiten Meerenge versperrt. Die spanischen Behörden waren überfordert, und wollten sich eigentlich mit diesem zum größten Teil illegalen Einwanderervolk, von denen die meisten auch über keine Ausweisdokumente verfügten, nicht beschäftigen. An jeder Ecke verkaufte irgendein armer Spanier oder Zigeuner das Zeug. Ein neues Holland, aber im warmen Süden war entstanden. Und wenn sich die Polizei oder irgendein Ladenbesitzer doch einmal zu sehr von einem dieser Leute gestört fühlte, wurde diese Person in ein Polizeiauto gesetzt, gefragt, wohin sie gehen möchte, mit dem Auto zehn Kilometer außerhalb der Stadt in Richtung der gewünschten Stadt abgesetzt und verabschiedet. Málaga war nur ein Beispiel für eine deutsche Kolonie, in anderen Städten Andalusiens gab es französische, englische, dänische oder andere Treffpunkte. Vorher war es die Türkei gewesen, die diese Leute ungewollt aufnahm, aber nachdem sich die politische Lage aufgrund des türkisch-kurdischen Konfliktes verschärft hatte, übernahmen die südlichen Länder des mittleren und westlichen Mittelmeers diese Stellung, Griechenland, Italien, Spanien und Portugal. Wie die Wandervögel zogen sie vom steifen, ‘ordentlichen‘ Norden in den noch unkontrollierten Süden.

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Monday, 8 October 2018

243 Kleinere Schriften XXXVII Die faule Jugend
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Die faule Jugend

“Diese Jugend von heute ist einfach verweichlicht. Die wollen nicht mehr richtig arbeiten.“ hörte ich die alten Nachbarinnen durch die Wohnungstür im Treppenhaus des alten, noch aus richtigen Ziegelsteinen gebauten Mietshauses, das ich mit zehn anderen Parteien bewohnte. Ich kümmerte mich nicht sehr darum, da ich mich sowieso nicht unbedingt als Mitglied der Gesellschaft betrachtete, und wie die eine die andere Schicht schalt (schelten / schilt, schalt, h. gescholten), berührte mich nicht im Geringsten. Es war eine Kleinstadt und ich hatte meinen Zwei-Zimmer-Unterschlupf in einem Außenbezirk mit vielen Gartenhäusern. Im Winter musste natürlich der Gehsteig schneefrei gehalten und im Sommer manchmal gefegt werden. Dies geschah durch Arbeitsteilung. Jeder im Haus bekam eine Woche zugeteilt, was einen Rhythmus von zehn Wochen ergab. Hatte man Glück, so war man gerade dann an der Reihe, wenn es eigentlich nichts zu tun gab.
Bei einer dieser Gelegenheiten kam eine ältere, wohlbeleibte Frau gerade vom Einkaufen und als sie mich sah, lobte sie mich, wie fleißig ich doch sei, wartete einen Atemzug und bat mich dann, ihr doch beim Tragen der schweren Taschen zu helfen. Ich bin keine Jesus-Figur, aber wenn man mich höflich bittet, kann ich so etwas meist nicht zurückweisen. Ich half ihr also, die Taschen zu tragen, es waren ja nur ungefähr dreihundert Meter ein bisschen den Berg hinauf. Auf diesem kurzen Weg erzählte sie mir einen Teil ihres Lebens, wie schwer die Kriegs- und Nachkriegszeit gewesen sei, dass ihr Mann sie schon einige Zeit verlassen habe, um in einer glücklicheren Welt, da oben neben Gott, seinen würdigen Platz einzunehmen. Hierzu führte sie die Handkreuzbewegung auf ihrer Brust aus. Beim Gartentor angekommen schloss sie es auf und ich trug die Taschen bis zur Haustür. Dabei ging es durch einen ziemlich großen Garten, der ein wenig verwahrlost aussah. Ihr Sohn wohne in der Stadt und helfe ihr überhaupt nicht. „Naja,“ dachte ich bei mir, „ich hätte auch bessere Dinge zu tun.“ Natürlich sagt man so etwas nicht laut, sondern lässt nur seine Gedanken schweifen. Beim Abschied drückte sie mir noch einen Apfel aus ihrem Garten in die Hand und nannte mich ihren Sohn.
Es verging keine Woche, als sie sich vor dem Haus, in dem ich wohnte, mit einer anderen Nachbarin unterhielt. Im Vorbeigehen grüßte ich sie und wollte meinen Weg fortsetzen, um ins Schwimmbad zu gehen. Sie hielt mich auf und bat mich ihr doch am nächsten Tag zu helfen, den kleinen Komposthaufen ein bisschen umzuschichten, da sie in ihrem Alter zu so schwerer Arbeit nicht mehr fähig sei. Ein bisschen die Stirn runzelnd willigte ich ein und begab mich am nächsten Morgen zur besprochenen Zeit zu ihrem Haus. Nach kurzem kam sie mit einem strahlenden Gesicht heraus, führte mich in den anderen Teil des Gartens hinter ihrem Haus. Nun zeigte sich erst richtig der ganze Umfang des Eigentums, das einen ganzen Mann in Vollzeitbeschäftigung benötigt hätte, um dort Ordnung zu schaffen und dann auch weiterhin aufrechtzuerhalten. Sie stand neben mir und erzählte mir Geschichten und ein paar ihrer eigenen Gedanken, vielleicht, um mich zu unterhalten. Zum Beispiel, dass sie nicht verstehe, warum diese jungen Leute Sport treiben, wo doch Gartenarbeit wesentlich gesünder wäre und vor allem auch noch nützlich. Während ich schwitzte, fragte sie mich, ob ich ein Bügeleisen habe. Aber da ich eigentlich nur T-Shirts, Pullover und Jeans trug, wäre ich nie auf den Gedanken gekommen, so etwas zu kaufen. Nach Beendigung der Arbeit gab sie mir ein altes, elektrisches Bügeleisen und wollte mich überreden am nächsten Tag wieder zu kommen, um einige andere Tätigkeiten im Garten zu erledigen. Ich drückte ihr das unnütze Geschenk, oder vielleicht Bezahlung wieder in die Hand und war mit schnellen Schritten aus dem Garten verschwunden. Seit dieser Zeit erzählte sie in der ganzen Nachbarschaft, dass mir die Arbeit nicht schmecke. Und seit jener Zeit umging ich sie in weitestem Bogen.

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