243 Kleinere Schriften XXXVII Die faule Jugend
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Die faule Jugend
“Diese Jugend von heute ist
einfach verweichlicht. Die wollen nicht mehr richtig arbeiten.“ hörte ich die
alten Nachbarinnen durch die Wohnungstür im Treppenhaus des alten, noch aus
richtigen Ziegelsteinen gebauten Mietshauses, das ich mit zehn anderen Parteien
bewohnte. Ich kümmerte mich nicht sehr darum, da ich mich sowieso nicht
unbedingt als Mitglied der Gesellschaft betrachtete, und wie die eine die
andere Schicht schalt (schelten / schilt, schalt, h. gescholten), berührte
mich nicht im Geringsten. Es war eine Kleinstadt und ich hatte meinen
Zwei-Zimmer-Unterschlupf in einem Außenbezirk mit vielen Gartenhäusern. Im
Winter musste natürlich der Gehsteig schneefrei gehalten und im Sommer
manchmal gefegt werden. Dies geschah durch Arbeitsteilung. Jeder im Haus
bekam eine Woche zugeteilt, was einen Rhythmus von zehn Wochen ergab. Hatte
man Glück, so war man gerade dann an der Reihe, wenn es eigentlich nichts zu
tun gab.
Bei einer dieser
Gelegenheiten kam eine ältere, wohlbeleibte Frau gerade vom Einkaufen und als
sie mich sah, lobte sie mich, wie fleißig ich doch sei, wartete einen Atemzug
und bat mich dann, ihr doch beim Tragen der schweren Taschen zu helfen. Ich
bin keine Jesus-Figur, aber wenn man mich höflich bittet, kann ich so etwas
meist nicht zurückweisen. Ich half ihr also, die Taschen zu tragen, es waren
ja nur ungefähr dreihundert Meter ein bisschen den Berg hinauf. Auf diesem
kurzen Weg erzählte sie mir einen Teil ihres Lebens, wie schwer die Kriegs-
und Nachkriegszeit gewesen sei, dass ihr Mann sie schon einige Zeit verlassen
habe, um in einer glücklicheren Welt, da oben neben Gott, seinen würdigen
Platz einzunehmen. Hierzu führte sie die Handkreuzbewegung auf ihrer Brust
aus. Beim Gartentor angekommen schloss sie es auf und ich trug die Taschen bis
zur Haustür. Dabei ging es durch einen ziemlich großen Garten, der ein wenig
verwahrlost aussah. Ihr Sohn wohne in der Stadt und helfe ihr überhaupt
nicht. „Naja,“ dachte ich bei mir, „ich hätte auch bessere Dinge zu tun.“
Natürlich sagt man so etwas nicht laut, sondern lässt nur seine Gedanken
schweifen. Beim Abschied drückte sie mir noch einen Apfel aus ihrem Garten in
die Hand und nannte mich ihren Sohn.
Es verging keine Woche, als
sie sich vor dem Haus, in dem ich wohnte, mit einer anderen Nachbarin unterhielt.
Im Vorbeigehen grüßte ich sie und wollte meinen Weg fortsetzen, um ins
Schwimmbad zu gehen. Sie hielt mich auf und bat mich ihr doch am nächsten Tag
zu helfen, den kleinen Komposthaufen ein bisschen umzuschichten, da sie in
ihrem Alter zu so schwerer Arbeit nicht mehr fähig sei. Ein bisschen die
Stirn runzelnd willigte ich ein und begab mich am nächsten Morgen zur
besprochenen Zeit zu ihrem Haus. Nach kurzem kam sie mit einem strahlenden
Gesicht heraus, führte mich in den anderen Teil des Gartens hinter ihrem
Haus. Nun zeigte sich erst richtig der ganze Umfang des Eigentums, das einen
ganzen Mann in Vollzeitbeschäftigung benötigt hätte, um dort Ordnung zu
schaffen und dann auch weiterhin aufrechtzuerhalten. Sie stand neben mir und
erzählte mir Geschichten und ein paar ihrer eigenen Gedanken, vielleicht, um
mich zu unterhalten. Zum Beispiel, dass sie nicht verstehe, warum diese
jungen Leute Sport treiben, wo doch Gartenarbeit wesentlich gesünder wäre und
vor allem auch noch nützlich. Während ich schwitzte, fragte sie mich, ob ich
ein Bügeleisen habe. Aber da ich eigentlich nur T-Shirts, Pullover und Jeans
trug, wäre ich nie auf den Gedanken gekommen, so etwas zu kaufen. Nach
Beendigung der Arbeit gab sie mir ein altes, elektrisches Bügeleisen und wollte
mich überreden am nächsten Tag wieder zu kommen, um einige andere Tätigkeiten
im Garten zu erledigen. Ich drückte ihr das unnütze Geschenk, oder vielleicht
Bezahlung wieder in die Hand und war mit schnellen Schritten aus dem Garten verschwunden.
Seit dieser Zeit erzählte sie in der ganzen Nachbarschaft, dass mir die
Arbeit nicht schmecke. Und seit jener Zeit umging ich sie in weitestem Bogen.
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Monday, 8 October 2018
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