244 Kleinere Schriften XXXVIII Ausgestiegen
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Ausgestiegen
Sie standen draußen vor der
Kneipe, darauf wartend, wieder hineingelassen zu werden. Die Besucher waren fast
ausschließlich Ausländer, Deutsche. Was brachte diese jungen Leute zwischen
achtzehn und fünfundzwanzig dazu in einem ärmeren Land, als ihrem Heimatland,
zu betteln, Bilder auf die Straße zu malen, Blutplasma zu spenden und den Tag
mit Trinken, Rauchen und Herumliegen zu verbringen? Vielleicht die südliche
Wärme und die Möglichkeit, aus einer Gesellschaft auszusteigen, mit der sie
sich nicht identifizieren konnten oder wollten. Sie sahen zu, wie der
einheimische, spanische Wirt zuerst die alten Holzspäne vom Boden aufkehrte,
schnell aufwischte, die Fenster aufmachte, damit es schneller trocknete und
dann wieder neue Holzspäne auf den kahlen, kalten Fliesenboden streute. Das
ganze erinnerte nur deshalb an eine Kneipe, weil es mehr Fenster als in einer
Wohnung, eine Schenke mit ein paar Zapfhähnen, einer Kaffeemaschine und ein
paar Stühlen mit Tischen gab. Die Tische waren wichtig, nicht um ihre
Getränke darauf zu stellen, sondern um die kleinen Taschen, in denen diese
Aussteiger oder vielleicht auch Abgerutschte ihre wenige Habe verstauten, vor
dem Schmutz auf dem Boden zu schonen. Sie auf den Boden zu stellen, wäre
nicht ratsam gewesen, hatten doch auch selbst sie sich sehr schnell die
örtliche Gewohnheit angeeignet, auf den Boden zu spucken, oder Müll aller Art
ganz einfach neben sich fallen zu lassen. Während sich jeder ohne weiteres
auf der Straße auf den Boden setzte um zu betteln oder Bilder zu malen,
scheute sich da in der Kneipe jeder davor. Mit Sandalen war es besonders
unratsam, sich in die Kneipe zu wagen. Es war ein Treffpunkt für sie, die da
die gleiche Sprache beherrschten, wenn sie um die Fiesta-Zeit oder am frühen
Abend ihr kleines, angeschafftes Geld in Alkohol und Rauchbares umsetzten,
bevor sie sich dann in der Dunkelheit einen Schlafplatz in irgendeinem
verfallenen Haus, auf der alten Burg, in einem Park oder am Strand suchten.
Für langhaarige Hippies waren sie ein bisschen zu jung, wir schreiben die
achtziger Jahre in Málaga. Franco war fast zehn Jahre gestorben und mit der
darauffolgenden Grenzöffnung fanden sich nicht nur reiche Touristen,
Investoren, Rentner, die ein billiges Haus für ihren Lebensabend erstanden,
und Abenteurer ein, sondern auch Aussteiger. Sie alle fühlten, dass sich im
alten, steifen Europa der Nachkriegszeit etwas ändern müsste. Der Landweg
nach Marokko, in das Drogenhändler und Hippies den Cannabis gebracht hatten,
war nur noch von einer dreizehn Kilometer breiten Meerenge versperrt. Die
spanischen Behörden waren überfordert, und wollten sich eigentlich mit diesem
zum größten Teil illegalen Einwanderervolk, von denen die meisten auch über
keine Ausweisdokumente verfügten, nicht beschäftigen. An jeder Ecke verkaufte
irgendein armer Spanier oder Zigeuner das Zeug. Ein neues Holland, aber im
warmen Süden war entstanden. Und wenn sich die Polizei oder irgendein
Ladenbesitzer doch einmal zu sehr von einem dieser Leute gestört fühlte,
wurde diese Person in ein Polizeiauto gesetzt, gefragt, wohin sie gehen
möchte, mit dem Auto zehn Kilometer außerhalb der Stadt in Richtung der
gewünschten Stadt abgesetzt und verabschiedet. Málaga war nur ein Beispiel
für eine deutsche Kolonie, in anderen Städten Andalusiens gab es
französische, englische, dänische oder andere Treffpunkte. Vorher war es die
Türkei gewesen, die diese Leute ungewollt aufnahm, aber nachdem sich die
politische Lage aufgrund des türkisch-kurdischen Konfliktes verschärft
hatte, übernahmen die südlichen Länder des mittleren und westlichen
Mittelmeers diese Stellung, Griechenland, Italien, Spanien und Portugal. Wie
die Wandervögel zogen sie vom steifen, ‘ordentlichen‘ Norden in den noch
unkontrollierten Süden.
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Saturday, 13 October 2018
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