215 Kleinere Schriften XIV 1) Sie sehen auf dich herab … 2) Über Tote nur
Gutes!
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215 Kleinere Schriften XIV
1) Sie sehen auf dich herab
…
2) Über Tote nur Gutes!
Sie sehen auf dich herab,
wollen dir das Gefühl geben, dass du ein niemand bist, und wenn du dann
bewiesen hast, dass du auch noch besser bist als sie, wollen sie dich mit
offenen Armen in ihre Kreise aufnehmen. Wie erstaunt sind sie dann, ja fast
beleidigt, wenn du ihnen zu verstehen gibst, dass du nicht den geringsten
Wunsch hast, dazuzugehören.
Über Tote nur Gutes
„Hoho! Wirt! Bring uns noch
Wein! Es durstet uns, wie in der Wüste zur Mittagszeit!“ – schrie er durch
den Saal. „Hast du auch noch genug Münzen dafür?“ – fragte der Wirt, als er
einen neuen, vollen Krug auf den Tisch stellte. Wütend warf der Trinkende ein
Säckchen mit klingenden Geldstücken auf den Tisch. „Woher hat er jetzt dieses
Geld? Beim letzten Mal hatte er fast seine Hosen hier lassen müssen. Der hat
seit dem Tod seines Vaters nicht nur sein ganzes Erbe, sondern auch seinen
Verstand versoffen.“ – fragte sich der Wirt. „Aha, da wunderst du dich? Du
Knauserich! Ich habe nämlich die letzte Goldkette meiner verstorbenen Mutter
verkauft!“ – antwortete er in Gedanken, als er dem erstaunten Gasthausbesitzer
ins Gesicht lachte. Aber er wusste auch, dass dies sein letztes Geld war. Der
Alkohol hatte ihn zwar ziemlich herunterkommen lassen, jedoch wäre er zu
feige gewesen, zu betteln, zu stehlen oder gar zu rauben. Er war sich gewiss,
dass er die Stadt verlassen würde. Als sein Geld aufgebraucht und der letzte
Krug geleert war, erhob er sich, warf den Krug gegen die Wand und ging
hinaus. Seine Saufkumpanen riefen ihm nach: „Bis morgen!“ Aber er antwortete
ihnen nicht. Mit dem Mut des Betrunkenen begab er sich in Richtung Wald,
fühlte weder die Dunkelheit, noch die Äste und Zweige, über die er stolperte,
oder die ihm ins Gesicht schlugen. Irgendwann hatte er dann soviel Alkohol
herausgeschwitzt, dass er nach einem Sturz einfach liegen blieb, wohin er
gefallen war.
Als er aufwachte, hatte er
fürchterliche Kopfschmerzen. Doch, was war das? Zu seinen Füßen saß ein Mann,
der betete. Dieser gab ihm einen Krug. „Wein?“ Nein, Wasser, aber kühl und
frisch, genau das Richtige für einen Katzenjammer und eine ausgetrocknete
Kehle. Der Stumme stand auf, ging ein paar Schritte, schaute zurück und
wartete. „Ach, du willst, dass ich dir folge!“ Beschwerlich stellte er sich
zuerst auf alle viere, dann auf die Beine, ein bisschen wankend, aber es
ging. Sie gingen eine Weile, dann hielt der Stumme an, bückte sich und aß ein
paar Pilze vom Boden, der nüchtern Werdende tat es ihm gleich. Ein Stückchen
weiter führte er ihn zu einem Vogelnest, nahm eines der Eier und gab ihm zu
verstehen, auch nur eines zu nehmen, damit der Vogel das Nest nicht verließe,
sondern ein paar neue lege. Der Stumme sagte nie ein Wort, lehrte ihn mit
Zeichen, um die Natur entdecken. Manchmal hätte unser Verarmter gerne ein
paar Worte gesprochen, aber da er keine Antwort bekam, wandte er sich an die
Tiere. Von Zeit zu Zeit hatte er das Gefühl, als ob diese ihm zuhören würden.
Irgendwann starb dann sein stummer Meister und nun musste der eifrige
Lehrling alleine überleben. Anfangs war er sehr traurig, hatte er sich doch
an seinen Führer gewöhnt.
Wenn sehr selten Leute sich
im Wald verirrten, sprach er aber kein Wort mehr mit ihnen. Vielleicht hatte
er es verlernt, oder sich einfach daran gewöhnt. Mit den Tieren machte er
ihre Töne nach. In der Stadt hatte man ihn schnell vergessen, vor allem weil
er eigentlich keine Schulden hinterlassen hatte, weswegen man auf ihn hätte
böse sein können. Langsam entstanden Legenden und Mythen über einen Heiligen,
der das Erbe seines Vaters verschenkt hatte, und in den Wald gegangen war, um
den Tieren das Wort Gottes zu predigen.
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Tuesday, 29 August 2017
Thursday, 17 August 2017
214 Kleinere Schriften XIII 1) Die Geschichte wiederholt sich 2) Der
Todeskampf des Mittelalters
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214 Kleinere Schriften XIII
1) Die Geschichte wiederholt
sich
2) Der Todeskampf des
Mittelalters
Die Geschichte wiederholt
sich
Die Restauration von
achtzehnhundertsechzehn konnte zwar die alten, staatlichen Strukturen wieder
herstellen, aber der Glaube an die Unantastbarkeit der Religion oder des
Königs war zerstört. Aber was ersetzte die Treue gegenüber Gott und König?
Der Nationalismus, alle Leute eines Landes sollten Brüder sein, füreinander
da sein. Napoleon, die große Hoffnung, hatte sie alle verraten, als er sich
selbst zum Kaiser krönte. „Die Franzosen brauchen König, wenn sie sogar einen
Kaiser akzeptieren!“ So gab man ihnen wieder die Bourbonen. Jedoch nach
dreißig Jahren mussten diese das Land erneut verlassen. Ist der Geist der
Freiheit einmal aus der Flasche, dann ist sie später zu klein für ihn. Die
Gedanken suchen sich neue Dimensionen, neue Wege der Verwirklichung.
Mit englischen Schiffen
kamen nicht nur Waren aus aller Welt, sondern auch neue Motive, Formen und
Vorstellungen über Farben nach Europa. Schwarzafrika, Indien, China, Japan
und die arabische Welt ließen sich nun auch hier kennenlernen, man musste
keine Reise um die Erde mehr antreten. Impulse warteten darauf entdeckt zu
werden. Die Technik ermöglichte, bisherige, natürliche Grenzen zu
überschreiten. Doch der geistige Höhenflug machte vielen Angst, sie
befürchteten den Boden unter den Füßen zu verlieren, waren noch nicht reif
genug, ihr eigenes Geschick bestimmen zu wollen. Bis zum Ende des neunzehnten
Jahrhunderts war das Chaos in den Köpfen so groß geworden, dass sich die
meisten gerne in die Hände einiger Führer gaben; das Ergebnis war der erste
(der große Krieg) und zweite Weltkrieg.
Nach dieser katastrophalen
Führung und Unterdrückung entstand wieder ein Bedürfnis nach
Selbstbestimmung. Am Anfang des einundzwanzigsten Jahrhunderts gibt es schon
wieder viele, die aus der Geschichte anscheinend nichts gelernt haben und
sich führen lassen wollen. Sie erschrecken vor den eigen Möglichkeiten.
Der Todeskampf des
Mittelalters
Iphigenia in Aulis, die
Griechen hatten ihre eigenen Götter kritisiert, hatten sich davon befreit,
sich von der Religion vorschreiben zu lassen, was sie denken oder glauben
sollten. Bei den Römern gab es eine Demokratie der Götter, der römische
Bürger konnte sich aussuchen, welchem Hirngespinst er Opfer bringen wollte.
Im Pantheon waren diese alle gesammelt. Und dann kam die Völkerwanderung. Das
römische Reich, geschwächt auch durch die weltfremde Ideologie des
Christentums, konnte dem barbarischen Schwung der Germanen und Hunnen nichts
mehr entgegensetzen, es zerfiel.
Aber die Germanen waren zu
ungebildet, um zu sehen, dass das Christentum auch sie ins Verderben führen
würde. Die Kirche verbot alle Freudenfeste, Götter und Mythen. Aus den
Saturnalien machte sie Weihnachten und Silvester, aus den germanischen
Göttern christliche Heilige, aus den heiteren Wassernymphen prüde Marien, die
ohne körperliche Freuden Kinder gebären. Das Christentum stieß Europa in eine
tiefe, dunkle Schlucht der Unwissenheit und Prüdheit. Fast mehr als tausend
Jahre sah es so aus, als ob diese schöne Welt wirklich zum Jammertal
verkümmern würde. Nur der Araber richtete seine Religion so ein, dass sie ihm
sein Privatleben nicht vollständig auffraß.
Dann folgte ein Erwachen:
die Renaissance! Der Mensch, das Wissen stand wieder im Mittelpunkt. Der
Buchdruck half bei der Verbreitung von Gedankengut und brachte am Ende die
Demokratie. Immer weiter wurde der dunkle Geist des Mittelalters
zurückgedrängt; Jerusalem war nicht mehr der Mittelpunkt der Erde, weil sie
ja rund ist; die Erde, das beste Werk Gottes, war nicht mehr der Mittelpunkt
des Universums. Die Geister des Mittelalters schrien „Sodom und Gomorra“,
aber die meisten wollten einfach frei leben. In einigen Teilen der Welt
dürfen Homosexuelle heute heiraten, Andersfarbige und Frauen sind
gleichberechtigt, Drogen sind, wie das Gift Alkohol, legal. Den Moralisten
aus alten Zeiten bleibt nur noch das Sippen-, Stamm- oder
Nationalbewusstsein, also der Rassismus und Fremdenhass. Sie verbreiten bei
den Prüden, die zu dumm sind, um den Sex wirklich zu genießen, das
Scheinbild, dass nur Treue zu einem einzigen, andersgeschlechtlichen Partner
das Glück ihres Lebens sichern kann.
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Wednesday, 2 August 2017
213) August 2, 2017 - Sie leben in einer Streichholzschachtel
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213
August 2, 2017
Sie leben in einer
Streichholzschachtel
Die Sommerferien hatten
gerade angefangen und obwohl ich erst siebzehn geworden war, entschied ich,
meinen ersten Ausflug in die große Welt zu machen. Meine Jungfernreise ins
Ausland führte mich nach Nizza. Ein wunderbares Gefühl, befreit von allem,
was mir in meiner Heimatstadt zu eng geworden war. Bereits am dritten Tag
hatte man mir mein Geld gestohlen. Aber ich hätte mich doch geschämt, sofort
wieder nach Hause zu fahren. Von ein paar Obdachlosen, Deutschen und
Franzosen lernte ich, wie man auch ohne Geld überlebt. Einer dieser Leute
dort kam aus meiner Gegend und war nicht unbedingt erfreut, mich zu sehen.
Fünfunddreißig Jahre später sollte ich verstehen, was der Grund dafür war.
Wir saßen hier zwischen Monte Carlo und Cannes, zwischen Fürsten und weltberühmten
Schauspielern und nun sprach da einer über eine deutsche Provinzstadt.
Fünfunddreißig Jahre später
gab mir ein rechtsgerichteter Ungar ein von einem verarmten, deutschen
Adligen geschriebenes Buch, in dem sich ein Kapitel mit einem Teil der Geschichte
Ungarns und danach eines mit der von England beschäftigte. Deutsche
Provinzstadt – Monte Carlo, Ungarn – England. Ich las das Kapitel über die
Geschichte Ungarns und beschloss, ihm einen kleinen Vortrag über Geschichte
zu halten.
Fünfhundert Jahre vor
unserer Zeitrechnung wanderten germanische Stämme nach Europa ein. Sie
verbreiteten sich vom Ural bis zum Rhein, von Skandinavien bis ins
Karpatenbecken. Ungefähr tausend Jahre später kamen asiatische Stämme und
verdrängten die Germanen aus ihren südlichen Siedlungsgebieten. Im siebten
Jahrhundert verdrängten die Slawen die Germanen aus den östlichen Gebieten.
Während die Ungarn am Ende des neunten Jahrhunderts einen Keil zwischen
Nord-Ost-Slawen und Südslawen trieben, versuchten die germanischen Fürsten, das
Vordringen der Slawen im Raum Polen und Tschechei zu verhindern. Im
dreizehnten Jahrhundert suchten die Könige des Heiligen Römischen Reiches (Im
neunzehnten Jahrhundert wurde der Name“ Heiliges Römisches Reich Deutscher
Nation“ geprägt.) eine neue Aufgabe für die aus dem Heiligen Land
zurückgekommen Ritter, und schickten sie in die baltischen Gebiete. Jene
bauten dort die Ländereien des Deutschen Ritterordens auf, wobei sie die dort
ansässigen Slawen und Finn-Ugoren wie Sklaven behandelten (Daher der Begriff
„sclavus“, der später ins Lateinische übernommen wurde.). Die Habsburger
verrichteten das gleiche mit den Ungarn und Slawen in den östlichen Provinzen
ihrer Donaumonarchie. Im späteren Geschichtsunterricht des deutschsprachigen
Raumes nahmen diese Geschehnisse, neben den Kriegen mit Frankreich und denen
in Italien, einen wichtigen Platz ein. Selbst Internationalisten wie Marx
sahen im Slawentum eine Gefahr für die europäische Kultur (Später sollten die
Chinesen die Rolle der Phantominvasoren übernehmen.) und unterstützte mit
seinen Manifesten aus den Jahren achtzehnhundertachtundvierzig/neunundvierzig
die Ungarn gegen die Habsburger und Slawen. Hitler machte sich dieses
Hirngespinst zu eigen und propagierte seinen „Lebensraum im Osten“. Außerdem
hatte sich der Kommunismus zuerst in Russland verwirklicht, was es den
Faschisten leicht machte, diese Utopie mit dem Slawentum auf einen Nenner zu
bringen.
In dem obengenannten Kapitel
des Buches ging es auch noch um Ungarn, die in Amerika zum Beispiel die
Filmindustrie bestimmten/überschwärmten. Er hatte nur vergessen, zu erwähnen,
dass diese Leute zum Teil Juden oder Oppositionelle waren, die aus dem
Horthy-Ungarn hatten fliehen müssen.
Weiterhin behauptet dieser
verarmte, deutsche Adlige, dass die Ungarn durch die Öffnung der Grenzen für
die deutschen Flüchtlinge neunzehnhundertneunundachtzig den Kommunismus zum
Zusammenbruch gebracht, und sich so für die Ereignisse von Ende
neunzehnhundertsechsundfünfzig revanchierten haben sollen. Würde ein Ungar
einem Polen die Geschichte so auftischen, müsste er damit rechnen, dass der
Pole ihn auslacht, hatte dieser doch zehn Jahre lang den Sowjets mit seiner
Solidaritätsbewegung das größte Kopfzerbrechen bereitet, während der Ungar
knapp ein halbes Jahr später bei den Mai-Paraden
neunzehnhundertsiebenundfünfzig Kádár János feierte. Der Pole würde ihm
vorwerfen, im ganzen kommunistischen Blog der größte Russenfreund gewesen zu
sein und als Gegenleistung den höchsten Lebensstandard erhalten zu haben. Bei
Geschichtswissenschaft dreht es sich nicht darum, wer sie wie auslegt,
sondern um ein gemeinsames Einverständnis aller Beteiligten.
Diese Leute leben in einer
Streichholzschachtel und sehen nicht, was um sie herum geschieht, und es
interessiert sie auch nicht.
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