151) Die neue Bekanntschaft
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Die neue Bekanntschaft
Eine halbe Stunde vor der Abfahrt stand der Zug
schon auf dem Gleis. Er suchte sich einen Wagon ganz hinten aus, weil er die
Erfahrung gemacht hatte, dass dort weniger Leute einsteigen. Im Zug war noch
niemand, also ließ er sich in einem Abteil nieder. Das neue Buch in seiner
Tasche wartete darauf, gelesen zu werden. Er packte Kaffee, Kekse und
Zigaretten aus, schaltete das Licht ein und machte es sich gemütlich. Was für
eine Ruhe! Ein drittel des Buches könnte beendet werden.
Der Zug fuhr schon eine Stunde. Er kam mit seinem
Buch gut voran, vor allem, weil sich niemand in seinem Abteil eingefunden
hatte, selbst den Schaffner hatte er nicht bemerkt, als dieser an seiner Tür
vorbeiging. Der Beamte kannte ihn schon seit Jahren und wollte ihn nicht beim
Lesen stören. Plötzlich öffnete sich seine Tür, er sah auf, das Buch hatte
sowieso nicht gehalten, was es versprochen hatte, er hätte noch ein anderes mitnehmen
sollen. Er schaute in ein gelangweiltes, aber nicht unschönes Gesicht. Sie
ließ sich ihm gegenüber nieder, er machte ihr auf der Ablage Platz, wofür sie
sich mit einem dürftigen Kopfnicken bedankte und eine Akte aus der Tasche
zog.
Es mussten Verträge sein, sie korrigierte hier
und da einige Sätze. Der Stoß auf ihrem Schoß war dick, sie vertiefte sich in
ihre Arbeit. Sein Buch war so langweilig, wie ihr Gesicht gelangweilt. Wenn
der Zug neben einem Wald vorbeifuhr, der einen dunklen Hintergrund bildete,
entstand im Fenster ein Spiegel. Er konnte sie sehen, ohne sie direkt
anschauen zu müssen. In diesem undeutlichen Spiegelbild erschien sie
geheimnisvoll. Warum hatte sie sich gerade in sein Abteil gesetzt?
Ihr Stift fiel auf den Boden und schnell bückte
er sich, um ihn aufzuheben. Als er ihn ihr in die Hand legte, schaute er in
ihr trauriges Gesicht. Die ersten Worte lagen ihm auf der Zunge: „Mein Name
ist Peter.“ „Laura!“ – antwortete sie. „Sind die Dokumente so langweilig, wie
mein Buch, weil ich schon eine ganze Weile aus dem Fenster schaue?“ „Wir sind
Meister auf dem Gebiet, die Zeit totzuschlagen!“ „Ich lese eigentlich sehr
gern, aber dieses Buch ist nicht gerade das, was ich mir unter seinem Titel
und dem Autor vorgestellt hätte.“ „Meine Arbeit füllt einen großen Teil
meiner Zeit aus, und dabei bin ich mir nicht immer sicher, ob ich das auch
wirklich will.“ Ein Wort gab das andere, ein Gedanke reihte sich an den
anderen.
„Arbeitest du viel?“ „Wenn man Karriere machen
will, bleibt einem nichts anderes übrig. Und was machst du, wenn du Zeit
hast, Bücher nach deinem Geschmack zu lesen, oder dich auf die faule Haut zu
legen?“ „Ich bin Schriftsteller.“ „Hm! Ein richtiger Schriftsteller? Was ist
bisher von dir erschienen?“ „Ich veröffentliche nicht über Verlage. Auf
meinem Blog kann man alles lesen.“ „Aber dadurch verdienst du doch kein Geld,
nicht wahr?“ „Solange man unbekannt ist, verdient man auch nichts. Im
Allgemeinen verkauft man das Autorenrecht an einen Verlag. Wenn man Glück
hat, und noch einen zweiten Kassenschlager schreibt, bekommt man ein wenig
mehr. Aber grundsätzlich wird vorgeschrieben, was der Autor komponieren soll.
Die Werbung ist sozusagen das Wichtigste! Ein Beispiel aus der Musik: Kennst
du Frank Zappa?“ „Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich seinen Namen nicht
schon einmal gehört habe.“ „Er war einer der größten Musiker des zwanzigsten
Jahrhunderts, aber da er zu aufwieglerisch war, versuchte man ihn Mundtot zu
machen. Danach gründete er seine eigene Plattenfirma. Leider fehlte ihm
natürlich das Verteilernetz. Er hatte keine eigenen Plattengeschäfte oder
Zeitungen und Werbefirmen, deshalb ist er eigentlich fast nur unter
Liebhabern bekannt.“ „Du möchtest also damit sagen, dass wir auch bei Büchern
an der Nase herumgeführt werden und nicht lesen, was wirklich gut ist?“ „Sehr
richtig! Trends und Mode werden mehr oder weniger gemacht. Wir sind nur die
dummen Verbraucher, die kaufen, was es auf dem Markt gibt. Meist wird
irgendetwas hervorgehoben, was dann überall erscheint. Nur sehr selten
gelingt es einem wirklichen Talent die Aufmerksamkeit der Firmen- und
Medien-Magnate auf sich zu lenken.“ „Also, diese Leute entscheiden deiner
Meinung nach, was Qualität darstellen soll.“ „Aber natürlich ist für Anleger
und Investoren nur wichtig, wieviel Profit sie daraus ziehen können. Das
größte Problem besteht in gewisser Weise darin, dass ein Verbraucher nicht
auf allen Gebieten Fachmann sein kann, und deshalb oft nur Gutklingendes oder
Gutaussehendes kauft. Du beschäftigst dich mit Verträgen und Recht. Wenn ich
jetzt einen Vertrag unterschreibe, habe ich wahrscheinlich das gleiche
Problem, wie ein Nicht-Schriftsteller mit Literatur.“
Der Zug hielt, seine Haltestelle. Er stand auf,
legte seine Visitenkarte mit der Blogadresse neben sie auf den Sitz und ging
hinaus. Sie lächelte dankbar, als wollte sie sagen: „Wie gut, dass du mich
nicht angesprochen hast, weil ich so meine Arbeit beenden konnte, die ich für
die Besprechung brauche.“
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Monday, 22 February 2016
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