Saturday, 6 February 2016

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Die Anderen

Fürst: Ich muss unbedingt herausfinden, wodurch andere Länder stärker sind, wie der Staatsapparat aufgebaut ist, wie das Heer funktioniert.
Adliger am Hof: Wie ihr wünscht, mein Gebieter! Ich werde getarnt versuchen, alles bei unseren Nachbarn zu erkunden.
Des Nachts begab er sich über die grüne Grenze, musste darauf achten, auch von den eigenen Grenzsoldaten nicht gesehen zu werden, weil es niemand erfahren sollte. Zu seiner Überraschung hatte das Nachbarland gar keine Wachen aufgestellt. Hatten sie keine Angst, dass jemand zum Feind überläuft? Er fühlte sich in seiner jetzigen Bekleidung nicht sehr wohl. Sie war eine Kopie von dem, was man einem Gefangenen abgenommen hatte, zwar bequem, aber er fühlte sie unter seinem Rang. Was würde er wohl noch erleiden und ertragen müssen? Vielleicht noch mit einem Neger oder Arbeitersklaven an einem Tisch zu sitzen?
Es war schon Vormittag, als er eine kleine Grenzstadt erreichte. Viele Leute bewegten sich auf den Straßen, ohne Ordnung, durcheinander, aber die meisten in Richtung eines großen Platzes. Er hatte eigentlich nicht dorthin gehen wollen, wurde aber von der Masse förmlich fortgeschwemmt. Als der Platz sich vor ihm öffnete, sah er Stand neben Stand mit, hörte Händler und Händlerinnen laut ihre Waren anpreisen, Käufer, die mit ihnen feilschten, manchmal auch harte, fast beleidigende Ausdrücke, ein Drängeln von allen Seiten, dann einen Tumult, weil mehrere Leute sich nicht einigen konnten und die Kraft der Fäuste als Argument benutzten, irgendwo wurde ein Taschendieb gefasst. Was für ein Durcheinander! – dachte sich unser geheimer Kundschafter.
Am anderen Ende des Platzes erblickte er ein stattliches Gebäude mit einem großen Tor. Er näherte sich. Dies schien das Bürgermeisteramt zu sein. Er wunderte sich, dort keine Wachen zu sehen und ging hinein. Verschiedene Aufschriften machten ihn darauf aufmerksam, wo sich was befand. Er öffnete eine höhere Tür und trat ein. Es sah wie ein Gerichtssaal aus. Ein Mann im schwarzen Gewand sprach gerade Recht: Gesetze sind Bestimmungen der Maßnahmen bei Übertretung von Vorschriften. „Sonderbar!“ – dachte unser Held. „Bei uns ist es ein Mittel der Erziehung. Wenn die nämlich keine Vorschriften haben, werden die wild. Wahrlich halten sich die Leute bei uns meist nur daran, weil sie Angst vor der Strafe haben, aber unter Umständen gewöhnen sie sich auch daran. Aber wer das Gesetz nur einhält, weil er sich davor fürchtet, hat eigentlich keine Grundsätze!“
Bald plagte ihn der Hunger, hatte er doch seit Verlassen des Hofes nichts gegessen und getrunken. Er begab sich in eine Wirtschaft. Sie war ziemlich voll, so dass er nur einen Stehplatz bekam. „Warum arbeiten diese Leute nichts?“ „Selbstbedienung!“ - las er auf einem Schild an der Wand. Von einem Tisch nahm er Teller, Besteck und Glas, und ließ sich von dem schönen Mädchen hinter der Theke Bier und Wildbrett geben. „Für so eine Kneipe essen die Leute hier ganz gut.“ Während er gierig die letzten Brocken verschlang, fand das Gespräch seiner Tischnachbarn den Weg in sein Ohr. Sie stammten aus verschiedenen Ländern, das ließ sich aus ihrer Aussprache vernehmen. Jeder lobte sein eigenes Land, aber musste sich auch die Kritik der anderen anhören. Doch am Ende stießen sie mit Bierkrügen und Weingläsern an, und einigten sich darüber, dass sie ja gemeinsam den Großfürsten besiegt hatten. Geschichtsverständnis als Ergebnis von Gedankenaustausch! Hier schoss es unserem Kundschafter durch den Kopf, dass sein Fürst fast alle unterdrückt hätte, wären sie nicht zusammen gegen ihn aufgetreten. Geschichte wurde hier nicht nach dem Standpunkt eines einzelnen geschrieben. Als er hinausging legte er das Geld für Speise und Trank in einen Behälter neben der Tür und war verwundert, dass es niemand kontrollierte. Aber er wollte nichts riskieren und zahlte genau, weil er doch nicht auffallen wollte.
Er war beruhigt, keinerlei Papiere vorlegen zu müssen, um ein Zimmer zu nehmen. Auf diese Weise würde keiner erfahren, dass sich ein Spion hier befand. „Die lieben ihre Freiheit so sehr, dass sie ihre Sicherheit vernachlässigen. Oder denken die vielleicht: Wer nichts zu verstecken hat, muss sich auch vor der Freiheit nicht fürchten?“
Am nächsten Tag, am Sonntag waren die Leute genauso geschäftig, wie an anderen Wochentagen. „Vielleicht sollte man die lieber in die Kirche schicken, um für den Fürsten zu beten und zu hören, wie man moralisch lebt.“ Er ging ein paar Meter, als ihn ein Kind am Arm zerrte. Er drehte sich herum, das Kind drückte ihm sein reich besticktes, seidenes Taschentuch in die Hand, das aus seiner Tasche gefallen war. Schnell steckte er es in seine Jacke. Wie konnte er nur so unvorsichtig sein! Das Wappen darauf hätte ihn verraten können.
Obwohl er keine staatlichen Arbeitskommandos sah, musste er feststellen, dass die Straßen und Parkanlagen sauber und gepflegt waren. Er bemerkte auch nirgendwo ein Schild mit der Aufschrift „Staatliche ….“, „Nationale …..“ oder „Städtische ……“. Sollte hier wirklich alles nur in privaten Händen liegen. Auch auf dem größten Platz in der Hauptstadt gab es nicht einmal einen Galgen oder eine Guillotine. Fehlte es hier an Schwerverbrechern oder half nicht einmal mehr das Mittel der Abschreckung? Diese Welt erschien ihm immer merkwürdiger!
Auf seinem Weg durch die Hauptstadt kam er auch an vielen Gebäuden vorbei, die keine Wohnhäuser oder Geschäfte waren. „Waisenheim“ stand auf einem Schild. In seinem Land machte man daraus Nachwuchs für die Armee, das beste Kanonenfutter. „Schule für alle!“ – las er auf einem anderen. „Was für ein Aberwitz! Die würden dann vielleicht auch noch ein Selbstbewusstsein entwickeln, wären ungehorsam und ließen sich nicht mehr dirigieren.“ „Armenkrankenhaus“ Jetzt wurde es ihm zu viel. Wie konnten die das alles finanzieren? Oder dachten die, dass es sich lohne, auch die weniger qualifizierten Arbeitskräfte gesund zu erhalten, weil sie dann mehr leisten könnten?
Vor einem Amt standen Leute Schlange, darüber eine Aufschrift: „Wahlbüro“. „Um zu wählen, muss man doch zuerst wissen, was man will. Und das wisse doch der Fürst am besten. Ein Führer, ein Staat, ein Land. Der Regierungschef soll ein Diener des Volkes sein?“
Nach einer Woche kehrte er in den Palast zurück. Aber als der Fürst sich von ihm darüber aufklären lassen wollte, warum diese anderen stärker waren, als sein mit einem Willen geführter Staat, wusste er nichts zu antworten, weil er einfach nichts verstanden hatte. Diese Demokratien hatten sogar ihren Nationalismus vergessen und sich verbündet, um ihre Freiheit zu erhalten.

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