163) Die größte Enttäuschung
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163
Die größte Enttäuschung
Es gab kein Kino in der
Stadt, kein Platten- oder Büchergeschäft, keine Jeans oder Turnschuhe in den
Kleidergeschäften. Aber da war ein Spielwarenladen. Die Regale des
halbdunklen, fast Lagerraumes waren mit großen Schachteln und Kartons
gefüllt, auf denen der Inhalt in eine fantastische Umgebung eingefügt war.
Für Mädchen verschiedenste Barbiepuppen auf Partys oder vor dem unendlichen
Kleiderschrank, auf Pferden reitend oder in der Kutsche im Hochzeitskleid.
Kinderwägen und Babypuppen. Für Jungs Batman, Supermann, ein Bergsteiger,
Rallyefahrer auf der Safari mit wilden Tieren, ein Astronaut auf dem Mars.
Die Verkäuferin in dem
Laden kannte mich bereits und war nicht gerade erfreut, mich zu sehen, weil
ich nie genug Geld hatte, etwas zu erstehen. Heute denke ich, es muss für sie
ziemlich deprimierend gewesen sein, dass auch seltene Gäste meistens nichts
mitnahmen. Das Geschäft war das Überbleibsel einer Zeit, in der die Leute
noch kein Auto hatten, und sich alles im näheren Umkreis besorgten.
Einmal pro Woche also
fand ich mich dort ein, bis mir irgendwann eine große Schachtel mit einem
Drachenflieger auffiel. Ich zeigte ihr meine offene Hand mit ein paar
Geldstücken, worüber sie mir nur höhnisch ins Gesicht lachte und wie eine
alte Hexe sagte, dass ich dafür ungefähr hundert Mal so viel brauche.
Dieses Gesicht mit
Zentimeter dicker Schminkschicht bedeckt, teils Goldzähne und teils Gebiss,
das ihr fast aus dem Mund fiel, wenn sie lachte, entweder stark gefärbte
Haare oder gar eine Perücke.
Wahrscheinlich war die
Bodenfläche hinter dem nicht so breiten Pult noch erhöht. Meine Stirn reichte
gerade bis zur Kante, deshalb konnte ich nicht sehen, was darauf passierte.
Sie beugte sich weit
darüber, auf diese Weise erschien ihr Kopf fast genau über meinem.
Erschrocken schluckte ich. Sie legte ihre Hand auf meinen Kopf, drehte ihn um
hundertachtzig Grad, so dass sich auch mein ganzer Leib mitbewegen musste,
wollte er nicht die Verbindung zu seinem Haupt verlieren. Jetzt stand ich mit
dem Rücken zum Pult und meine Augen sahen die Tür. Meine Beine fingen die
Wirkung eines Schubs von hinten auf, meine Hände verhinderten, dass meine
Nase sich an der Glastür plattdrückte.
Lange Zeit ging ich jetzt
nicht in das Geschäft. Sie war so freundlich gewesen, die besagte Schachtel
in das Fenster zu stellen. Oder war es Sadismus? Der Einmachglaseffekt? Du
kannst das Apfelkompott in dem Glas sehen aber kannst es nicht öffnen und den
Inhalt genießen. Es lächelt dich nur an!
Der Anblick der
Schachtel, oder besser die darauf abgebildete Figur, wie sie so über die
Landschaft dahinflog hatte auf mich eine magische Wirkung. Aber mein
Geburtstag war gerade vergangen und Weihnachten noch weit. Wie es nehmen und
nicht stehlen? Ich fragte alle meine erwachsenen Bekannten und Verwandten.
Einige gaben mir auch ein bisschen Geld. Daraus wurde aber nicht hundert Mal
so viel. Monatelang lief ich zwischen Schaufenster und möglichen Geldgebern
hin und her. Fast endlos schien mir die Zeit, in der die Geldsumme nur sehr
zähflüssig wachsen wollte.
Umso näher ich dem Ziel
kam, desto ungeduldiger wurde ich. Und dann endlich, bei einem Sonntagsbesuch
eines Verwandten war der letzte Rest zusammengekommen. Fast fliegend huschte
ich durch die verlassenen Straßen der Kleinstadt. Das Geschäft war natürlich
geschlossen. Noch ein Tag! Was für eine Qual! Schlaflos verging die Nacht.
Ohne Frühstück wurde der Weg zum Geschäft zurückgelegt.
Es öffnete aber erst um
zehn Uhr. Viel lange Stunden saß ich nun vor der Tür. Weder Regen noch Wind
sollten mich vertreiben. Als die Tür geöffnet wurde war ich völlig
durchweicht. Frierend und mit zitternden Händen legte ich das Geld auf die
Theke. Sie zählte es. Dies dauerte lange, weil darunter sehr viel Kleingeld
war. „Na! Haben wir es doch zusammengespart! Das hat aber lange gedauert. Da
waren schon ein paar hier, die sich dafür interessierten.“ Ein Schreck fuhr
mir durch die Glieder. War es nur noch die Schachtel ohne Inhalt, die da im
Schaufenster stand? Schließlich bequemte sie sich doch. Auch von hinten sah
sie wie eine Hexe aus, nur der schwarze Rabe fehlte auf ihrer Schulter. Mit
einem höhnischen Lächeln kam sie zurück, drückte mir das Paket in die Arme,
machte die Tür auf und ich verschwand auf der Straße. Es spielte für mich
damals (und spielt für mich auch heute noch) keine Rolle, dass ich keine
Rechnung bekam.
Zu Hause angekommen war
ich froh, niemanden anzutreffen und begab mich sofort auf mein Zimmer. Nicht
einmal die nasse Jacke zog ich aus und begann, den Inhalt der Schachtel zu
untersuchen. Rasch war der Drachen zusammengebaut und Männlein mit Sturzhelm
wie auf dem Bild in Position gebracht. Ich nahm den ganzen Drachen wie einen
Papierflieger in die eine Hand, stellte mich in die Ecke des Zimmers und ließ
ihn fliegen. Aber so oft ich es auch versuchte, er fiel wie ein Stein zu
Boden. Aus dem Fenster im ersten Stock war das Ergebnis nicht besser.
Erschöpft und mit überhitzter Stirn legte ich mich ins Bett.
Diese Enttäuschung sollte
mir eine Lehre für das ganze Leben sein. Das äußerliche Aussehen ist wichtig.
Es kommt nur darauf an, was andere sehen. Der Inhalt spielt keine Rolle.
Deshalb muss ich auch nicht alles haben, was andere für großartig halten.
Wenn du willst dass etwas funktioniert, musst du selbst dafür arbeiten. Stil
bedeutet nicht einfach, etwas zu übernehmen, was andere gut finden.
Vielleicht ist es schwieriger zu verkaufen, aber du kannst dich selbst im
Spiegel betrachten. Mach deine eigenen Gesetze, die du mit ruhigem Gewissen
einhalten kannst.
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Wednesday, 27 April 2016
Sunday, 17 April 2016
162) Die Welt gehört der Jugend!
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162
Die Welt gehört der Jugend!
Die alten Dinosaurier waren
schon fast ausgestorben. Sie hatten das neunzehnte Jahrhundert in das
zwanzigste hinübergerettet und dachten, dass es ewig dauere. Ja, das
neunzehnte Jahrhundert! Eigentlich viel Positives! Leute wie Darwin, die uns
endgültig die Augen öffneten. Die Naturgesetze ersetzten Gott. Aber es gab
auch Angstmacher wie Mary Shelley – Frankenstein, Robert Louis Stevenson –
Dr. Jekyll and Mr. Hyde. Der Mensch solle sich nicht überschätzen. Sie waren
oft mit Religiosität verbunden. Und genau diese Mischung aus Gottglauben und
Wissenschaft führte jetzt zu Nationalismus, Rassentheorie und Faschismus.
Auch nach dem zweiten Weltkrieg sah es eine Zeitlang noch immer so aus, als
hätten sie nichts gelernt. Und dann kam die Befreiung mit Hippie und Punk.
So dachten wir das in den
achtziger und neunziger Jahren. Der Kampf um persönliche Freiheit, das Recht
der Frauen auf Abtreibung, die Legalisierung der Drogen, freies Reiserecht
für alle, das Zurückdrängen veralteter, religiöser Moral. Besonders die Entwicklung
innerhalb der Europäischen Union, der Zusammenbruch des sowjetischen Blocks
und die Aussicht, dass auch diese Länder in einen europäischen aufgenommen
würden, die gemeinsamen Weltraumprogramme mit einer internationalen, um die
Erde kreisenden, ständigen Weltraumstation deuteten darauf hin, dass die
ganze Erde bei der Eroberung des Weltalls zusammenarbeiten würde.
Und hier kommen die
zwanziger Jahre im zwanzigsten Jahrhundert. Man hat das Gefühl, die Dummheit
kehre im hundertjährigen Zyklus wieder. Nationalismus, Kirchen und Sekten.
Sie alle sehen zurück. Für sie ist der Liberalismus eine Seuche. Sie wollen
nicht frei sein. Dies liegt vor allem in einem veralteten Geschichtsbild aus
der Schule. Der große König und sein großes Land. Aber wissen die denn nicht,
dass die kleinen Leute unter diesen großen Herrschern leiden mussten?
Wie aber lässt sich diese
Verschiebung nach rechts erklären? Der Hinweis auf wirtschaftliche Probleme
ist hier zu wenig. Für jede Entwicklung in der Natur, Gesellschaft, Wirtschaft
usw. gibt es eine Gegenbewegung. Die Globalisation, eine Öffnung in Richtung
Welt, ruft verständlicherweise Angst vor dem Verlust der eigenen Identität
hervor, besonders bei Leuten, deren „Ich“ auf ein Gruppenbewusstsein oder
einen bestimmten Platz in der/einer Gruppe aufbaut. Die Auflösung dieses
Hintergrundes bringt die Farblosigkeit des Einzelnen zum Vorschein. Fast
rührend klingt die Empörung des Geistlichen, wenn er an Ritualtagen immer
weniger seiner Schafe kommen sieht, sein Einfluss auf die Gemeinschaft
schwindet, die jungen Leute diese verlassen, weil sie in der alten,
traditionellen Welt keine Zukunft sehen. Schwer zu verarbeiten dünkt der
Übergang von kitschiger Nationaltracht, Humtata-Volksmusik und zu fettem
Essen zum scheinbar uniformen Adidas, T-Shirt, Coca-Cola und Pop-Kultur. Man
möchte sie fragen, ob sie in der Moderne wirklich nichts sehen.
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Thursday, 7 April 2016
161)
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Verschiedene Lebensläufe
1) Jeden Tag Training,
morgens um fünf Uhr aufstehen, ins Schwimmbad, nachmittags reiten, fechten
oder schießen und abends 10 km Langstreckenlauf. Wenn er einmal einen freien
Tag hatte, musste er seine überschüssige Energie an anderen ablassen. Das
hatte er von seinem Vater gelernt. Der war, wie jetzt sein Sohn, ein großer
Kerl, führte eine Firma, die im Geschäftsnetz seines früheren Trainers groß
geworden war. Zurück zu unserem jungen Helden. Im Sportunterricht zeigte er,
was in ihm steckte. Die anderen in der Klasse fürchteten sich vor ihm. Das
ist anscheinend eine andere Art von Respekt. Kraftprotze merken meist den
Unterschied nicht. Die Mitschüler waren froh, wenn er manchmal morgens sehr
müde vom Training in die Schule kam, weil er sie dann von seinen nicht selten
sadistischen Witzen verschonte. In den anderen Fächern besorgte er sich die
Hausaufgabe von seinen Klassenkameraden, die sie ihm gerne gaben, da sie dann
wenigstens eine Zeit lang nicht der Zielpunkt seines Übermutes waren. Mit dem
Lehrer beschäftigte sich der Vater, er sollte später sogar die Erleichterung
des Abiturs vorbereiten. Während des Sports lernte er seine Stellung in der
Gesellschaft kennen. Nach oben freundlich und nach unten gnadenlos treten.
Dies sollte ihm später auch beim Militärdienst helfen. Als er das Geschäft
seines Vaters übernahm, war er sein ganzer, fertiger Mann, dreißig Kilogramm
Übergewicht, arrogant gegenüber kleineren und schwächeren.
2) Schon wieder sieben Uhr
und aufstehen. Nicht wie am Sonntag, wenn er bis zum Mittagessen im Bett
bleiben konnte. Hier fühlte er sich wohl, fast geschützt, mit einem Buch oder
Zeichenblock, manchmal nur Musik, meist Filmmusik. Eine Welt der Träume,
Harry Potter war auch kein Muskelprotz, sondern hatte seinen Zauberstab.
Unser Held war auch nicht sehr groß, aß nicht so viel, war wählerisch, dünn.
Die Lehrer ließen ihn meistens in Ruhe, weil er keinen Aufruhr veranstaltete.
Man stellte ihn in die Ecke und dort blieb er. Wenn ihm ein Buch in die Hand
gedrückt wurde, oder Stift mit Papier, konnte er vergessen werden, er fiel
gar nicht auf. Seine Mutter kam zum zweiten Mal und zog ihm die Bettdecke
weg. Das war die wirkliche Welt, kalt und unfreundlich. Sie machte sogar das
Fenster auf. So eine Ungerechtigkeit! Er selbst würde keiner Fliege etwas zu
Leide tun, schaute alles verwundert durch seine dicke Brille an, und war
froh, wenn der Klassenstärkste beschäftigt unter der Aufsicht des Lehrers
seine Aufgaben machte. Er war nicht der beste, aber seine Zeugnisse waren
zufriedenstellend. Er lernte genau so viel, um bei niemandem Aufsehen zu
erregen, weder durch herausragende, noch durch besonders schlechte
Ergebnisse. Dieser Ausgleich nach außen hin gab ihm die Ruhe in seinem
Inneren. Auch später im Berufsleben als Beamter galt er als zuverlässig, aber
nicht karrierebewusst. Er tat genug, um akzeptiert und nicht gestört zu
werden. Zu Hause trug seine Frau die Hosen, bestimmte die Kindererziehung,
den Sonntagsausflug, die Wohneinrichtung und das tägliche Mittagessen.
Zwei Lebensläufe, so
verschieden und ganz typisch. Aber woher kommen nun die Helden, die die Welt
verbessern? Mandela, Gandhi, Luther King? Vom Himmel gefallene Übermenschen?
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160)
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Kleinere Schriften V
Was ist wohl unmoralischer, als Hure zu arbeiten,
oder einen Millionär wegen seines Geldes zu heiraten?
Am Anfang einer Geschichte sind wir immer
erwartungsvoll, in der Mitte voll von Gefühlen, manchmal gespannt, ängstlich
oder glücklich, und am Ende traurig oder heilfroh, dass es vorbei ist.
Toleranz
- Die
Leute sollen tolerant sein.
- Aber
ich muss mich selbst entsprechend benehmen und mich innerhalb eines allgemein
akzeptierten Rahmens bewegen.
- Oder
ich bin unabhängig genug, auch ohne die Toleranz oder Akzeptanz der
Gesellschaft leben zu können.
Treue – Grundsätze
Er schwur ihr Treue vor dem Altar. Er blieb ihr
ein Leben lang treu.
In diesem Fall klingt das Wort „Treu“ schön und
der Würdigung wert. Sie ist nötig, um Liebe durch Vertrauen zu ersetzen.
Zuerst gefällt mir der Partner, dann bin ich seiner Unterstützung sicher.
Diese Treue bindet sich aber nicht bedingungslos nur an die Person, sondern
auch an ihre Eigenschaften. Verletzt sie jene zu sehr, zerstört sie mein
Vertrauen und entbindet mich des Treuegelöbnisses.
Die Loyalität gegenüber dem Staat. Treue
gegenüber König oder Führer, Volk und Vaterland.
Der Mensch scheint nichts gelernt zu haben. Will
ich einer Sache treu sein, muss ich sie oft verteidigen, auch wenn ich
verschiedene Dinge eigentlich nicht mehr vertreten kann. Das Ziel, der Zweck,
die gemeinsame Sache heiligt die Mittel. Diese Art Opportunismus widerspricht
jedem Grundsatz. Sie duldet keinen Widerspruch. Sie wird als hohe Tugend
gelobt und ist doch eigentlich nichts Anderes, als die Verneinung
persönlicher Überzeugung.
Fragen:
Wie fühlt sich eine Frau oder ein Mann mit Kind
allein? Wie fühlt sich ein Elternteil mit einem Kind, wenn er/sie verlassen
wurde oder den anderen verlassen hat, ohne hier genauer auf den Konflikt
zwischen Mann und Frau eingehen zu wollen? Welche Rolle spielt das Kind oder
muss es übernehmen? Was sieht der Elternteil in dem Kind? Kann der Elternteil
sich zurückhalten, oder wie sehr kann sich der Elternteil zurückhalten, um
das Kind nicht als Erpressungsmittel oder Waffe gegen den ehemaligen Partner
einzusetzen?
Wann begann der Mensch, eigene Gedanken aufzubauen?
Hatte der Pharao eigene Gedanken, oder war auch er einfach Sklave jenes
Systems und hätte nicht aussteigen können, auch wenn er das gewollt hätte?
Oder was bedeuten „eigene Gedanken“? Sind dazu wenigstens zwei verschiedene
Systeme nötig, die wir dann vergleichen, um daraus vielleicht etwas Neues zu
entwickeln? Der Durchschnittsmensch denkt nicht gern, er passt sich lieber
an. Das macht Systeme möglich. Oder besser, es ist nötig, dass sich viele
einem anpassen und sich nach dessen Regeln richten, um jene zu schaffen und
zu erhalten. Große Systeme und Reiche können nur entstehen, wenn es viele
loyale Schafe gibt, die gleichgeschaltet werden können, was aber gleichzeitig
eine Vielfältigkeit ausschließt. Was würde passieren, wenn jeder um sich
herum sein eigenes System aufbauen würde? Würde das zu einer Anarchie führen
oder wäre es die Aufgabe der Gemeinschaft diese konstruktiv in das Ganze
einzugliedern. Sowohl Systeme müssen lernen, flexibler zu sein, als auch der
Einzelne lernen muss, sein System so zu gestalten, dass es mit dem der
Gemeinschaft kompatibel ist. Es ist klar, dass flexible Systeme eine größere
Überlebensfähigkeit besitzen. Die Gemeinschaft muss sich nur auf ein paar
Grundsätze einigen können. Ein zentral gesteuertes System ist schwerfällig und
kann auf Problem von innen und außen nur eingeschränkt reagieren. Ein
pluralistisches System braucht manchmal mehr Zeit, aber wird Probleme zur
verhältnismäßigen Zufriedenheit von allen lösen. Zuletzt ist Unzufriedenheit
ist nicht unbedingt etwas Schlechtes, sondern die Möglichkeit darüber
nachzudenken, wie etwas verbessert werden könnte, oder neue Ideen
eingegliedert werden sollten.
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Saturday, 2 April 2016
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Woher kommst du?
Dieses verdammte Dorf am Ende der Welt, diese
armen, betrunkenen Bauern und Zigeuner. Warum hatte sie sich bereit erklärt,
hierher zu kommen? Es war die Bitte ihres Professors gewesen. Nur mit
Unwillen hatte sie ihre Zustimmung gegeben. Aber sie hasste es, jeden Tag,
jede Unterrichtsstunde. Es gab hier, hinter dem Mond nicht einmal ein
Buchgeschäft. Der Pfarrer predigte am Sonntag nur Blödsinn und machte danach
ihr, der Dorflehrerin, den Hof. Es gab hier kein Leben, es war das tiefste
Mittelalter. Aber sie hielt durch, nicht weil sie es wollte, sondern weil sie
es ihren Vorbildern, ihren Lehrern und Unterstützern versprochen hatte, in
der Hoffnung, dass auch sie irgendwann an der Universität lehren würde. Jetzt
war sie dreißig und schon ließen sich die ersten Falten in ihrem Gesicht
sehen.
Und schon wieder hatte einer dieser Schüler etwas
gemacht, was die Lehrerin ganz aus der Fassung brachte. Sie schrie und befahl
dem Kind zum Pult zu kommen, um es furchtbar zu bestrafen. Langsam und
zitternd kam es nach vorn. In der ganzen Klasse war es totenstill. Alle
warteten auf den nahenden Weltuntergang, weil sie sahen, wie es in der
Lehrerin stürmte. Als das kleine vor ihr eintraf, legte es schützend die
kleinen Hände vors Gesicht. Die Sekunden wurden lang, irgendetwas
Unerwartetes geschah. Die Lehrerin setzte sich hin und sah mit leeren Augen
in die Ecke. Was ihr jetzt durch den Kopf ging, konnte niemand ahnen. Sie sah
sich selbst.
Als kleines Mädchen mit kleinen Händen zum Schutz
vor dem Gesicht und am ganzen Körper zitternd, weil sie vor dem Lehrer Angst
hatte. Aber er bestrafte sie nicht, sondern sah sie an und sagte zu ihr, dass
sie am Nachmittag zu ihm kommen solle. Beim ersten Treffen war es ihr
ziemlich bange. Während die anderen draußen im Hof spielten, musste sie hier
mit dem Lehrer lernen. Es schien ihr wie eine Strafe. Langsam verstand sie
den Lehrstoff, wurde nach zwei Jahren die Beste in der Klasse, ging dann aufs
Gymnasium und in eine Klasse zu einem Lehrer, zu dem ihr erster Klassenlehrer
sie geschickt hatte. Dieser lernte mit ihr weiter, dann an die Universität,
wieder zu einem Professor, zu dem der zweite Klassenlehrer im Gymnasium sie
geschickt hatte. Und dann wurde auch sie Lehrerin.
Aber bis heute, bis zu diesem Augenblick hatte
sie nicht verstanden, warum diese Lehrer das mit ihr gemacht hatten, warum
sie ihre Zeit für sie geopfert hatten, was sie von ihr erwarteten. Es war ihr
ein Rätsel, warum sie gerade von ihren Unterstützern gebeten worden war, ihre
Zeit hinter dem Mond zu verbringen. War sie nicht gut genug, unter
Akademikern an der Universität zu unterrichten und großartige Dinge zu
vollbringen?
Dies alles ging ihr jetzt durch den Kopf, als das
ängstliche Kind vor ihr stand. Genauso eines war sie selbst gewesen. Auch sie
hatte eine Starthilfe gebraucht. Oder vielleicht war es die Geschichte ihrer
Mutter, Großmutter oder Urgroßmutter. Irgendeiner hatte damit angefangen und
die Zukunft für die nächste Generation geschaffen. Es hörte sich an, wie ein
schlechter Roman aus kommunistischen Glanzzeiten. Dabei war es nur
Menschlichkeit. In der Bibel könnte auch nichts Besseres stehen. Jetzt war es ihr klar.
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