171) Sonderbare Fälle
Learn languages (via Skype): Rainer: + 36 20 549 52 97 or + 36 20 334
79 74
|
------------------------------
|
171
Sonderbare
Fälle
Die meisten
von uns haben schon wenigstens einmal eine Wohnung gemietet und dabei die
Erfahrung gemacht, dass der abgeschlossene Mietvertrag nicht wörtlich
genommen werden kann oder überhaupt nicht eingehalten wird. Dort ist zum
Beispiel die Kaution nicht aufgeführt, die der Vermieter am Ende einfach in
die Tasche steckt. Oder es ist etwas aufgeführt, was eigentlich nicht da ist,
vom Abstellraum, über Trockenräume für die Wäsche, bis zur Mülltonne und
Parkplatz. Auch wenn alles gezeigt wurde, informieren einen später die
Nachbarn, dass sich vieles ganz anders verhält.
Eines Morgens
bringt man den Müll hinunter und wird dabei von einem energischen
Hausgenossen darauf aufmerksam gemacht: „Du hast keine Mülltonne!“ Hier
stehst du, mit einem Sack stinkender Eierschalen oder Pampers in der Hand und
musst ihn wieder in die Wohnung zurücktragen. Du packst ihn dann in einen
undurchsichtigen Sack ein, spazierst auf dem Weg zur Arbeit durch den Park
und steckst ihn in eine öffentliche Mülltonne. Vom Arbeitsplatz rufst du den
Vermieter an, der natürlich alles leugnet. Am Abend nach der Arbeit begibst
du dich zur Müllabfuhr, schließt, natürlich auf deinen eigenen Namen, einen
Vertrag ab und mit einer zusätzlichen Gebühr wird die Mülltonne auch noch vor
deiner Wohnung abgestellt.
Wie könnte
man nun diesen kleinen, aber störenden Betrag wieder zurückbekommen? Einer
deiner Bekannten ist Rechtsanwalt und neben einem Bier in einer Kneipe
erzählst du ihm die ganze Sache, wobei du hinzufügst: „Ich hatte daran
gedacht, dem Vermieter jeden Monat eine Kopie der Überweisung zukommen zu
lassen und die Summe von der Miete abzuziehen.“ Mit dem Gefühl erfüllt
gerecht zu handelt, lächelst du und denkst bei dir, dass man dich nicht so
leicht übers Ohr hauen kann.
Wie ein
Besserwisser verzieht der Bekannte skeptisch den Mund, er hatte schon lange
darauf gewartet, eine Probe seiner Kunst zum Besten zu geben: „Dazu hast du
kein Recht! Du darfst diese Summe nicht von der Miete abziehen. Du kannst die
Überweisungen sammeln und wenn sie fünfhundert Euro erreicht haben, gehst du
zum Gericht, um Anzeige zu erstatten. Das Gericht beschäftigt sich nämlich
mit geringeren Beträgen nicht.“ Kurz rechnest du: fünfhundert geteilt durch
sechs ergibt dreiundachtzig Komma sechs Monate, rund sieben Jahre. „Nach fünf
Jahren verjährt die Schuld.“ – fügt der juristische Ratgeber hinzu. Natürlich
bemerkt er die Enttäuschung in deinem Gesicht. „Eine Handlung darf den
rechtlichen Gang der Dinge nicht beeinträchtigen.“ Einen Moment lang findest
du keine Worte, weil es dem wohlklingenden Spruch, der dir in der Schule
immer wieder eingetrichtert wurde: „Der Staat bist du!“ widerspricht. Es gibt
anscheinend einen gewaltigen Unterschied oder gar Widerspruch zwischen
„rechtlich“ und „gerecht“. Dir bleiben zwei Möglichkeiten: Ausziehen, oder
das nächste Mal niemandem trauen! Auch dem Staat traue nicht, weil er nur
deine Steuern will!
Er hatte sie
nach zehn Jahren Bekanntschaft geheiratet, weil er davon überzeugt war, dass
sie die Richtige sei. Zur ganzen Wahrheit gehörte aber auch, dass er sie ein
paar Mal in anderer Gesellschaft gesehen hatte, sie wusste nicht, dass er
dort war, und sie hatte sich ganz anders benommen. Sie war einfach, wie die
meisten Leute, ein Chamäleon. Es ist möglich, dass die Gesellschaft sonst
nicht funktionieren würde. Ihre Familie war eigentlich ganz normal. Man
akzeptierte ihn. Hatte man ihn gemocht? Eine schwere Frage, aber schließlich
hatte er ja nicht mit ihren Verwandten zusammenleben wollen. Natürlich war er
selbst kein Engel, hatte Fehler, doch hätte sie auch einen anderen wählen
können. Oder hatte hier der Grundsatz gegolten, wo es kein Pferd gibt, muss
man sich mit einem Esel aushelfen?
Nach zehn
Jahren hatten sie geheiratet, dann kamen, wie geplant zwei Kinder, und noch
ein Jahr später begannen die Probleme. Wer hier genau der Schuldige war, ist
schwierig zu ermitteln. Aber was daraufhin kam, überstieg alle seine
Erwartungen. Sobald er ausgezogen war, machte es ihm seine Ehefrau unmöglich,
die Kinder zu sehen. Er wollte sie damit erpressen, dass er kein Kindergeld
bezahlt, wenn er die Kinder nicht sehen kann. Sein Anwalt riet ihm davon ab,
weil er Gefahr laufe, ins Gefängnis zu gehen und beim Scheidungsverfahren
dann ganz sicher alle Möglichkeiten verliere, ein Besucherrecht zu erhalten.
Also zahlte er.
In
Anwesenheit der Anwälte beider Parteien einigte man sich darauf, ein Jahr mit
der Verhandlung zu warten und nur ein Gesuch auf Trennung einzureichen, weil
dies billiger sei und auch nicht sehr viel länger dauere. Das Erziehungsrecht
bleibe natürlich bei der Mutter. Aber warum eigentlich „natürlich“? Das
Gesetz gehe im Allgemeinen in die Richtung und die offiziellen Statistiken
zeigen, dass fünfundachtzig Prozent der Urteilssprüche die Frau bevorzugen.
Sind die Familienrichter fast alle Frauen und deshalb voreingenommen? Er
machte sich darüber Gedanken, weil seine Frau auch diese Abmachung einfach
nicht einhielt und ihn die Kinder weiterhin nicht sehen ließ. Sehen die
Richterinnen das nicht? Aber die Gründe liegen anderswo. Wir leben leider
noch immer in einer Macho-Gesellschaft, wobei ein Mann für die gleiche Arbeit
mehr als eine Frau verdient. Unglücklicherweise helfen dabei auch Gesetze,
die Frauen eigentlich schützen sollten, wie zum Beispiel der Mutterschaftsurlaub,
usw. Diese Maßnahmen erhöhen natürlich die Kosten der Arbeitgeber. Es ist
nicht genug, acht Stunden im Büro zu verbringen, wenn man Karriere machen und
gut verdienen will. Für eine Frau mit Kindern ist das nicht möglich.
Wenn also das
Gericht einem Mann die Kinder zugesteht, muss er mit seinem aufsteigenden
Berufsleben aufhören. Die Frau, die mit der Geburt der Kinder fast alle
Möglichkeiten auf Karriere verspielt hat, wird nie genug verdienen, um die
beim Mann lebenden Kinder ausreichend zu unterstützen. Hier müsste der Staat
finanzielle Beihilfe leisten und das versucht er natürlich, zu vermeiden.
Nach
eineinhalb Jahren wurde dann endlich die Scheidung ausgesprochen und er hatte
seine Kinder schon achtzehn Monate nicht mehr gesehen. Er brachte dies bei
der Verhandlung zu Wort und bekam das Besucherrecht. Seine Exfrau wurde
angewiesen, diese Vereinbarungen einzuhalten, was sie natürlich versprach,
aber später wieder nicht tat. Sein Anwalt erklärte ihm, dass er auch
weiterhin kein Recht habe, das Kindergeld zurückzuhalten, die einzige
Möglichkeit sei, beim Kindergericht Klage einzureichen.
Drei Monate
vergingen bis zur ersten Verhandlung. Seine Exfrau erschien nicht, deshalb
wurde ein zweiter Termin ausgeschrieben. Auch dann glänzte sie nur durch
Abwesenheit. Zum dritten Termin, nach insgesamt neun Monaten enthielt ihre
Vorladung die Aussicht auf eine Geldstrafe. Die Höhe der Summe belief sich
auf den monatlichen Kinderunterhalt, den er zahlte, wurde aber natürlich
nicht ihm als Geschädigten zugesprochen, sondern floss in die Staatskasse.
Bei dieser Verhandlung wurde seine Exfrau wiederholt aufgerufen, den Vater
seine Kinder sehen zu lassen. Auch weiterhin kam sie dieser Verpflichtung
nicht nach. Er hatte seine Kinder schon einundzwanzig nicht besuchen können,
aber den Geldbeutel des Anwalts gefüllt. Nebenbei war dieser nur dann bereit
gewesen, ihn zu vertreten, wenn er bar und ohne Rechnung bezahlte, weil die
Frau als für schuldig Befundene zwar verpflichtet war, aber nicht fähig
gewesen wäre, die Verhandlungs- und Anwaltskosten zu tragen.
Der Vater
wollte nicht aufgeben und ging in die nächste Runde. Wiederum wurde Klage
eingereicht. Bis zur ersten Verhandlung vergingen drei Monate, wobei er seine
Kinder schon seit zwei Jahren nicht gesehen hatte. Er wusste nicht, ob sie
sich überhaupt noch an ihn erinnern würden. Manchmal ging er auf den
Spielplatz in der Nähe, seine Exfrau machte dann immer ein großes Theater,
nahm die Kinder auf die Arme, die natürlich das Gefühl hatten, dass es hier
eine Stress-Situation gab und anfingen, zu weinen. Es war ihm nicht bekannt,
was sie den Nachbarn erzählt hatte, aber die sahen ihn mit zornigen Blicken
an, sobald sie ihn erblickten.
Zweite
Verhandlung ohne sie. Dritte Verhandlung – Aussicht auf Geldstrafe, deshalb
erschien sie. Seiner Klage wurde stattgegeben, das bedeutete „das Recht, die
Kinder zu sehen“. Er fragte den Anwalt, wie er diesem Recht Gültigkeit
verschaffen könnte. „Mit der Polizei“ – lautete die kurze Antwort. Als er
nach mehreren Versuchen wirklich mit der Polizei erschien, war die
Überraschung groß, die anwesende Schwiegermutter beschimpfte ihn. Die ganze
Szene dauerte zehn Minuten, weil er einsehen musste, dass das besonders für
die Kinder eine Qual war. Die Polizisten hatten verunsichert zugesehen. Einer
erzählte ihm, er habe so einem Schauspiel schon ein paar Mal beigewohnt, sei
selbst in der gleichen Situation und wisse – „Du hast keine Chance!“
Tagelang
fühlte er sich miserable, wusste, dass er eigentlich verloren hatte. Immer
wieder las er die Urteile des Gerichts. „Im Interesse des Kindes“ – hieß es
da.
Wie sollte
die Geschichte enden? 1) Er zahlte zwanzig Jahre lang, sah seine Kinder nie
wieder, weil sie ihn auch nicht besuchten. Man hatte ihnen eingetrichtert,
dass ihr Vater sich nicht für sie interessiere. 1a) Jahre später lernte er
eine andere Frau kennen, aber da er finanziell am Ende war, konnte er eine
neue Familie nicht finanzieren. 1b) Frauen kamen und gingen in seinem Leben,
aber er lebte nie wieder mit einer zusammen. 2) Nachdem er ein paar Monate
nicht bezahlt hatte, wurde er vor Gericht gestellt. 2a) Er bezahlte auch
weiterhin nicht und wurde wie ein Krimineller zu Freiheitsentzug verurteilt.
2b) Er verschwand im Ausland, bevor man ihn hätte einsperren können.
Gibt es denn
kein glückliches Ende der Geschichte? – stellt der an Hollywoods Happy End
gewöhnte Leser seine Frage. Schau dich um! – antworte ich ihm. Mach die Augen
auf! Das Leben ist wunderschön, aber nicht gerecht!
|
-----------------------------------------------
|
--------------------------------------------------
|
-------------------------------------------------
|
---------------------------------------------------
|
|
Sunday, 26 June 2016
Monday, 20 June 2016
170) 1) Sprachen 2) Tunwörter (Verben) und ihr Fall (casus)
Learn languages (via Skype): Rainer: + 36 20 549 52 97 or + 36 20 334 79
74
|
------------------------------
|
170
1) Sprachen 2) Tunwörter
(Verben) und ihr Fall (casus)
Sprachen
Wörter? Ob ein Tisch nun
table, mesa, стол, oder asztal genannt wird, ist eigentlich ziemlich
unwichtig, damit lässt sich höchstens die Herkunft des Wortes oder der
Sprache erkennen.
Eine Sprache besteht aus
Aufbau, die Aufteilung der Begriffe in verschiedene Gruppen und ihre
Platzierung innerhalb dieses Aufbaus.
Eine Hauptgruppe bilden die
Verben, sie zeigen die Richtung der Handlung: zum Beispiel: „schreiben,
laufen“, oder geben eine Aufforderung an: „Schreib! Lauf!“ oder die Zeitaufteilung:
zum Beispiel: „schrieb, lief“.
Für die informale Form
(Herr, Frau Müller) hat eigentlich (meines Wissens) keine Sprache eine eigene
Form. Meist fällt diese mit den zweiten und dritten Personen (du, er, sie,
ihr, sie) zusammen.
Durch Hilfsverben lässt sich
dieses Spektrum noch erweitern: zum Beispiel: „wird schreiben, wird laufen“
drückt die Zukunft aus, oder: „hat geschrieben, ist gelaufen“ ist die
Beziehung zur Gegenwart, oder: „was reading when suddenly the phone rang“
zeigt die Gleichzeitigkeit oder Unterbrechung einer Handlung durch eine
andere, „had finished till arrived“ die Vorzeitigkeit, „ist gefahren
(reisen), hat gefahren (selbst am Steuer sitzen)“ informiert darüber, ob eine
Handlung auf etwas einwirkt oder allein besteht. Weiterhin kann es die
Aufmerksamkeit des Zuhörers oder Lesers auf den Gegenstand lenken, auf den
die Handlung einwirkt „ist gebaut, wird gebaut“.
Bevor wir zu den Sätzen
kommen, wobei verschiedene Nebensätze in einigen Sprachen sogar über ihre
eigene Konjugation verfügen, müssen diese Konjugationen zuerst behandelt
werden. Hauptsätze wie „Ich wünsche, Ich möchte, Ich rate dir“ oder „Ich
befehle dir“ ziehen einen Subjunktiv nach sich. Einige Sprachen besitzen
dafür eine eigene Form (Subjunktiv) „Le dije que lo haga.“ andere benutzen
den Konjunktiv, dritte erledigen dies mit einer Infinitivkonstruktion „I told
her to do that.“ vierte mit Hilfe eines Modalverbes „Ich sagte ihr, dass sie
das machen soll“.
Für die Möglichkeitsform
wird ein Konjunktiv benutzt.
Zusammenfassend kann gesagt
werden: Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft in der Aussageform, Gegenwart
und Vergangenheit in der Möglichkeitsform und die Gegenwart bei der
Aufforderung.
Eine weiter Änderung ergibt
sich durch Modalverben, wobei vier Fälle zu erwähnen wären: 1) die Fähigkeit
= können, 2) die Erlaubnis = dürfen, 3) die Verpflichtung = müssen und 4) der
Wunsch = wollen. Es ist klar, dass es dies nur in der Aussageform und
Möglichkeitsform, aber nicht in der Aufforderungsform gibt.
Verschiedene Sprachen
verfügen weiterhin über impersonelle Formen: „Il faut que je fasse, Hay que
hacer, opportet, Мне нужно сделать, Nekem kell valamit csinálnom”, oder der
Beschreibung: „Es regnet”.
Natürlich bestehen noch
viele andere kleinere Funktionen der Verben, die sich aber von Sprache zu
Sprache sehr unterscheiden.
Tunwörter (Verben) und ihr
Fall (casus)
„der, den, dem, des + s“,
auf diese und ähnliche Weise ist der Gebrauch der Hauptwörter (Substantive)
eingeteilt.
der = der Fall für den
Namen, das Hauptwort erscheint in seiner Grundgestalt, zum Beispiel: der
Stift, der Mann. Dazu gehören bestimmte Tunwörter: sein, geschehen, vergehen
in erster Linie und natürlich: gehen, reisen, eintreten.
den = Jemand benutzt das Ding,
das Ding wird benutzt, zum Beispiel: den Stift, oder: Jemand sieht den Mann,
der Mann wird gesehen.
dem = 1) der Geben-Fall: Ich
gebe, schicke, sende, schenke ihm etwas. 2) in welche Richtung-Fall: Das
gefällt, schmeckt, gelingt dem Mann. Man hat das Gefühl, dass er etwas tut,
wobei die Handlung nur in seine Richtung geht.
des+s = Ich bedarf deines
Rates. Eigentlich: Ich bedarf, dass du mir hilfst / mir einen Rat gibst.
Dieser Gebrauch ersetzt im Grunde genommen einen Nebensatz.
Der Präpositionsfall = Ich
gehe in den Garten. Ich schreibe mit dem Stift. Ich helfe bei der Arbeit. Ich
beginne mit dem Essen (Ich beginne, zu essen.)
Wir sehen, dass Tunwörter in
verschiedene Gruppen aufgeteilt werden können, einige von ihnen auch zu
verschiedenen Gruppen gehören, und manchmal sogar in demselben Satz.
|
-----------------------------------------------
|
--------------------------------------------------
|
-------------------------------------------------
|
---------------------------------------------------
|
|
Friday, 17 June 2016
169) Das große Werk
Learn languages (via Skype): Rainer: + 36 20 549 52 97 or + 36 20 334
79 74
|
------------------------------
|
169
Das große Werk
Er hatte gerade seine Arbeit
in der Fabrik beendet und wandelte gemäßigten, verträumten Schrittes nach
Hause. Langsam schaltete sein Gehirn um, suchte die Brücke zu dem, wo er in
der letzten Nacht aufgehört hatte und jetzt weiterarbeiten wollte. Seine Arbeitskollegen
riefen ihn in die Kneipe zu einem Getränk, aber er wehrte ab. In den letzten
Monaten hatte er sich ganz verändert. Er war fünfzig geworden und an seinem
Geburtstag so betrunken gewesen, dass er danach drei Tage das Bett hatte
hüten müssen.
Aber was machte er seit
diesem Tag jeden Abend allein zu Hause? Er war geschieden, seine Kinder
wollten nichts von ihm oder er nichts von ihnen wissen, er hatte es
vergessen. Er arbeitete an seinem Lebenswerk. Etwas, ihn verewigen,
überleben, nach ihm bleiben sollte. In Urzeiten wurden aus Helden Götter,
später Legenden. Heute standen diese Leute in Geschichtsbüchern. Aber normale
Leute wurden spätestens nach zwei bis drei Generationen vergessen. Dass er
während seines Lebens unbekannt blieb, störte ihn nicht, weil er dann
wenigstens seinen Alltag ruhig genießen konnte. Aber nach seinem Tod sollten
alle erfahren, wen man an ihm verloren hatte.
Nach zehn Jahren Arbeit war
er eigentlich gut vorangekommen. Natürlich gab es manchmal Höhen und Tiefen.
Und jetzt sollte er bald in Rente gehen, dann könnte er sich ganz seinem Werk
widmen, würde nicht durch Fabrikarbeit unterbrochen. Er ging nur noch unter
die Leute, wenn er etwas einkaufen musste.
Für die meisten war er
einfach ein Spinner. „Ja, alte Leute, die leben nur noch für sich, träumen
von alten Zeiten, verstehen die neue Welt nicht mehr, aber wollen auch von
ihr nicht verstanden werden. Die alten Jungfern rennen ständig in die Kirche,
die alten Männer immer in die Kneipe.“ Aber was machte dieser hier? Die Jungen
interessierte es nicht, sie waren sogar froh, wenn sie ihn sahen, weil er
sich nicht mit ihnen beschäftigte, sie nicht störte. Und seine Zeitgenossen?
Sie wurden immer weniger, starben langsam aus, hätten gern mit ihm
gesprochen, doch er ging einfach an ihnen vorbei. Sie begannen schlecht über
ihn zu sprechen, weil er sie aus seinem Leben ausschloss. Seine Welt war
nicht mehr ihre. Er merkte nicht, wie er sich langsam vom Leben entfernte,
verwahrloste ein bisschen, wusch sich seltener, verbreitete einen eigenartigen
Geruch, aß unregelmäßig, versank in seinem Werk. Nach seinem Tod würde man es
entdecken und würdigen.
Als er eines Morgens
aufwachte, ein warmer herbstlicher Tagesanfang, vom Bett aus betrachtete er
das Ergebnis seiner Arbeit. Es war fertig. Was würden sie damit machen, wenn
sie es fänden. Sehr oft hatte er erfahren müssen, wie Dinge einfach
weggeworfen wurden, weil sie für die Nächsten nicht mehr wichtig waren, weil
sie darin das Werk nicht sahen, oder nicht sehen wollten, vielleicht nicht
konnten. Er musste es schützen, vor unverständigen Händen und Blicken
bewahren. Aber wie? Hatte er so lange daran gearbeitet, damit es jetzt
verloren ging? Er würde es vergraben. Hinter seinem Haus im Garten. Und wenn
die Menschheit einmal reif genug ist, es zu verstehen, wird sie es finden.
Genauso wie man früher Gräber ausgeraubt hatte, aber heute ihre Schätze im
Museum ausstellte.
Nachdem man ihn monatelang
in keinem Geschäft gesehen hatte, brach die Polizei die Tür zu seinem Haus
auf. Es stank fürchterlich. Nur noch die Knochen waren da. Keiner wollte die
Bruchbude kaufen und so zerfiel sie langsam. In dem Dorf wollte sich niemand
ansiedeln und so blieb alles unberührt.
|
-----------------------------------------------
|
--------------------------------------------------
|
-------------------------------------------------
|
---------------------------------------------------
|
|
Sunday, 12 June 2016
168) Die Geschichte der Gleichheit
Learn languages (via Skype): Rainer: + 36 20 549 52 97 or + 36 20 334
79 74
|
------------------------------
|
168
Die Geschichte der
Gleichheit
Der Pharao wandelte mit
seiner kleinen Hofgesellschaft an seinem Grab vorbei. Eine große Leibwache brauchte
er nicht, weil ihn alle für einen unsterblichen Gott hielten. Er herrschte
über ungefähr hunderttausend Leute. Dies war genug, um seinen Hof zu
unterhalten, ein kleines Heer aufzustellen und somit die Raubzüge der
lybischen Nomaden im Westen und der semitischen Stämme im Osten abzuwehren.
Die Griechen waren
anspruchsvoller. Fünfhundert wahlberechtigte Bürger, genauso viele Frauen,
tausend Kinder und zweitausend Sklaven. Ohne diese ausgeglichenere Verteilung
der Güter und die Eigeninitiative der einzelnen Bürger wäre die Erhaltung der
Kolonien nicht möglich gewesen.
Bei den Römern ging es
wieder ein paar Schritte zurück. eine riesige Zahl von Kolonien und Sklaven
ernährten einige wenige gut und eine Schar Taugenichtse in Rom.
Das Mittelalter brachte es
zu ein paar Kirchen im romanischen und gotischen Stil. Außer den höheren
geistlichen oder weltlichen Würdenträgern befanden sich alle auf dem
Existenzminimum mit einer durchschnittlichen Lebenserwartung von
fünfunddreißig. Als Steuersatz galt „der Zehnte“. Mehr war aus den armen
Leibeigenen nicht herauszupressen.
Mit der Festigung der
Königreiche in Europa begann auch der Wettkampf zwischen ihnen. Die Kriege
wurden immer teurer und die Möglichkeiten der Finanzierung waren begrenzt.
Entweder verfügte man über völkerreiche Gebiete oder reiche Gold und
Silberminen, wie die Spanier in ihren Kolonien. Andere Länder bauten
Handelsstädte auch, zum Beispiel Venedig, Genua, Hamburg, Salzburg, Nürnberg
usw., die höhere Steuern bezahlen konnten.
Die führte nun zur Entstehung
einen Bürgertums, dem nicht mehr so leicht zu befohlen werden konnte. Der
König oder Fürst war gezwungen, Zugeständnisse zu machen. Die Folge waren der
Parlamentarismus in England und die Französische Revolution.
Die Sklaven waren anfangs
als billige Arbeitskräfte für die Kolonien unentbehrlich. Aber nach der
Verteilung der Ländereien in Arizona, New Mexiko und Texas behinderten sie
die Entwicklung einer modernen Landwirtschaft in den U.S.A. und mussten
deshalb befreit werden. Dies geschah im amerikanischen Bürgerkrieg.
Die wirtschaftlichen
Umstände waren natürlich noch nicht reif für eine vollständige
Gleichberechtigung, vor allem weil auch normale Bürger und Frauen diesen Grad
noch nicht erreicht hatten. Immer kompliziertere und wechselhaftere
Industriezweige benötigten ausgebildete und mobile Arbeitskräfte, und der
Staat noch mehr Geld. Sollten aber die Bewohner eines Landes höhere Steuern
bezahlen, dann mussten sie auch mehr verdienen, der Binnenmarkt musste aufgebaut
werden.
Der Markt bedeutet nicht nur
produzierende Industrie und Luxusgüter, sondern auch Konsumgüter für weniger
vermögende Schichten. Umso mehr der Staat auch dieser Bürger bedurfte,
erzwangen sie sich das Wahlrecht. Danach ging es Schlag auf Schlag, zuerst
die Frauen, die Schwarzen und heute Kinder. Eine Industrie könnte ohne diese
Käuferkreise nicht mehr existieren. Ein Blick auf ein Einkaufszentrum im
Stadtinneren zeigt uns die Hauptzielgruppe: Jugendliche zwischen zwölf und
zweiundzwanzig Jahren.
Was wird wohl der nächste
Schritt? Im Laufe der Geschichte waren es immer die Klassen, die gerade die
Gleichberechtigung für sich erreicht hatte, welche einen Aufstieg der unter
ihnen liegenden Schichten zu verhindern suchte. So ist es bis heute geblieben.
Der Pöbel hat Angst, niemanden zu haben, den er treten kann. Das heißt heute
Ausländerhass. Wir müssen uns daran gewöhnen, dass es noch fünfeinhalb
Milliarden Arme in den Entwicklungsländern gibt. Ein neuer Markt für
wirtschaftliche Entwicklung und die Hoffnung für diese Leute in der Zukunft
einmal gleichberechtigt zu sein.
|
-----------------------------------------------
|
--------------------------------------------------
|
-------------------------------------------------
|
---------------------------------------------------
|
|
Sunday, 5 June 2016
167) Liebe in alter Mode
Learn languages (via Skype): Rainer: + 36 20 549 52 97 or + 36 20 334
79 74
|
------------------------------
|
167
Liebe in alter Mode
Noch schnell ins
Blumengeschäft, eine rote Rose. In seinen Ohren klang ihm das Lied von Heino
„Schenk ihr eine rote Rose“. Er war ein bisschen aufgeregt, hatte er sie doch
nicht, wie seiner Zeiten, am Arbeitsplatz, auf einer Hochzeit oder durch ein
Heiratsinstitut kennengelernt. Diese Firmen waren alle bankrottgegangen, als
das Internet kam und die neuen nannten sich nur „Partnersuche“. Dort gab es
keine hübsche Beraterin, die einem Tipps zuflüsterte, was man schreiben
sollte, um im besten Licht zu erscheinen. Jetzt musste man selbst nachdenken.
Dann wurden zehntausend elektronische Nachrichten ausgetauscht, sogenannte
Emails. Hier lernte er schreiben, wie Cyrano de Bergerac, wusste eigentlich
schon alles über sie, hatte auch tausend Mal gelogen. Tja! Wie überredet
„Mann“ „Frau“? Das kostete Nerven, Zeit, Energie. Sie hatte zwar ein Foto
geschickt, aber das war natürlich keine Garantie, wahrscheinlich genauso
aufgearbeitet, wie sein eigenes.
Es war Winter und die Rosen
im Geschäft kamen mit dem Flugzeug aus Afrika, die war noch immer billiger,
als sie hier im Glashaus zu züchten. Auch er hatte schon ein paar Mal seinen
Arbeitsplatz wechseln müssen, weil in Entwicklungsländern billiger gearbeitet
wurde, oder ein Einwanderer für einen niedrigeren Lohn bereit war, die
Aufgaben zu übernehmen. Diese globale Welt gefiel ihm nicht. Jetzt war er
fünfzig und musste sich ständig weiterbilden. Jeden Abend saß er nach der
Arbeit zu Hause und lernte Englisch oder etwas Neues auf seinem Fachgebiet.
Warum musste er eine andere Sprache lernen? War nicht die Deutsche die
schönste, ausdrucksreichste und schwerste auf der Welt?
Er wählte eine schöne, große
Rose mit einem langen Stil. Noch schnell eine Zigarette und dann ein
Kaugummi. Zu seiner Jugend war das Rauchen noch männlich. Marlboro-Werbung:
Ein Cowboy auf seinem Pferd und vor ihm die weite Prairie. Zehn Minuten vor
der verabredeten Zeit traf er dort ein. Er hatte gedacht, dass der von ihr
vorgeschlagener Platz ein ruhiger Ort sei, aber hier standen schon einige
Leute. Zerrissene Jeans, Mädchen fast im Bikini, ein farbiges Durcheinander.
Doch eines hatten sie alle gemein, sie waren jünger als er und in ihren
Händen trugen sie ein Handy, entweder um etwas zu lesen, oder um etwas zu
schreiben oder spielen. Er zog seinen Artikel aus der Frankfurter Allgemeinen
Zeitung heraus, den er noch hatte lesen wollen.
Aber warum hatte er ihn
eigentlich aus der Tasche gezogen? Er wusste genau, dass er sich jetzt nicht
darauf konzentrieren konnte. Vielleicht, um nicht zu sehr den Eindruck zu
erwecken, dass er doch auf sie wartete. Ein Blick auf seine teure Armbanduhr
verriet ihm, es war noch nicht so weit. Er hielt die Rose fest und fühlte die
Dornen. Warum musste so ein schönes Ding so stachelig sein? Wer leidet wohl
mehr, die Rose, die ihre Anbeter durch die Dornen fernhält, oder die Anbeter,
die sich daran stechen? Wahrscheinlich beide gleich viel, nur anders.
Jetzt bemerkte er auf der
gegenüberliegenden Seite des Platzes eine Person, die der glich, auf die er
wartete. Es musste sie sein, weil die besprochenen Kennzeichen, in seiner
Hand Rose und Zeitung, in ihrer Hut, darauf hindeuteten. Sie war ziemlich
pünktlich, nur drei Minuten zu spät, das war nichts. Eine ihrer positiven
Eigenschaften, oder nur die Wichtigkeit des Treffens? Es würde sich
herausstellen. Er gab ihr noch keinen Kuss auf den Mund, sondern nur einen
auf die linke und rechte Backe, dabei legte er die Hand leicht um ihre Hüfte
und zog sie zärtlich näher. Sie wehrte nicht ab, ließ sich führen. Dann
überreichte er die Rose. Das Papier um den Stil war ein bisschen gerötet,
deshalb nahm sie schnell zwei Taschentücher hervor, eines für die Rose und
mit dem anderen behandelte sie seine Hand.
Die ersten Worte waren
gewechselt, die ersten Berührungen ausgetauscht, besser hätte es nicht laufen
können. Als Programmpunkt für den Abend hatte er eigentlich an ein Konzert
oder Theaterstück gedacht, doch dies hatte sie abgelehnt, weil sie meinte,
dass es später noch viele Gelegenheiten geben würde, an denen man sich
weniger zu sagen hätte und erst wieder neue, gemeinsame Erlebnisse sammeln
müsse. Er führte sie also auf ihren Wunsch in eine kleine, gemütliche
Gastwirtschaft. Es war auch nicht so teuer, weil sie als moderne Frau darauf
bestanden hatte, die Hälfte der Rechnung zu begleichen. Zudem war es
offensichtlich, ihren Arbeitsplatz beurteilend, dass sie mehr als er
verdiente. Der Kellner kam, brachte die Speisekarte und wand sich ihr zu. Ein
leichter, trockener Weißwein. Er stimmte zu. Natürlich trat hier sofort das
nächste Problem auf: Was sollte er dazu essen? Sie bestellte Fisch mit Reis
und Gurkensalat, er nickte nur. An diesen Kulturschock musste er sich erst
gewöhnen. Kein Bier, kein Schnitzel mit Pommes, kein Schnaps danach, und vor
allem keine Zigaretten. Was für eine Welt!
Sie verstand auch nichts vom
Fußball, sah sich lieber Tennis an, nahm drei Mal in der Woche an einer
Aerobic-Stunde teil. Ein bisschen moderne Malerei und Esoterik, Mozarts Don
Giovanni im Porsche mit Donna Elvira im Bikini, „Sauls Sohn“ musste man
gesehen haben, sie war „up to date“. Er würde sich in diese Richtung
weiterbilden müssen und seine Halbkultur durch eine andere ergänzen. Sie
merkte, dass er nicht zur gleichen Gesellschaftsschicht gehörte, nicht die
gleichen Kreise frequentierte. Jede Zeit hatte seine eigenen Symbole. Zur
Zeit seiner Mutter waren es Moped, Elvis und Miniröcke gewesen. Die Frau, die
jetzt vor ihm saß, wäre in fünfzig Jahren ein Clown. Nur der Fußball und Bier
schien ihm ewig.
Nach dem Abendessen ein
Spaziergang durch den Park um den kleinen, künstlichen See, besser als am
Flussufer entlang, weil es hier wenigstens keine Stechmücken gab. Die leichte
Jacke trug sie über die Tasche gehängt, so dass die Schultern und die Haut
über den Busen freilagen. Das dünne Kleidchen lag eng an. Die
Schultermuskulatur schon ein bisschen eingefallen, um die Hüfte nur ein paar
Kilo zu viel, der Hintern mehr platt und die Haut porig, aber für ihr Alter
noch ganz in Ordnung. Das passte zu seiner flachen Brust, dem kleinen
Bierbauch und den dünnen Armen. Sie gefielen sich.
Warum brauchten sie
einander? Vielleicht mehr, um das Wochenende und den Urlaub nicht allein
verbringen zu müssen. Sie besprachen noch das nächste Treffen. Spät brachte
er sie zu ihrem Auto und ging zu Fuß nach Hause.
|
-----------------------------------------------
|
--------------------------------------------------
|
-------------------------------------------------
|
---------------------------------------------------
|
|
Subscribe to:
Posts (Atom)