197) Der alte Affe erzählt 8
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Der alte Affe erzählt 8
Nach der Beruhigung und
Verarbeitung des Vergangenen, bei der das Alleinsein hilft, kommt das
Erwachen, oder besser die Erkenntnis.
Ohne die Gegenwart von
anderen Affen gibt es niemanden, demgegenüber die Grenzen der Persönlichkeit
zum Ausdruck kommen könnten. Der Affe bestimmt sich selbst in Bezug zu seiner
gesellschaftlichen Umgebung. Gibt es diese nicht, ist das „Ich“ eine
zerfließende Masse. Robinson Affe hatte wahrscheinlich nach dreiundzwanzig
Jahren auf seiner Insel einfach vergessen, wer er war.
Gut! Ich hatte das Geschehen
verarbeitet, wusste, was ich nicht wollte, war aber weit davon entfernt,
sagen zu können, was wohl meinen Wünschen entsprechen sollte. Wünschen kann
der Affe sich nur das, was er sich vorstellen kann, das bedeutet, was er vorher
schon in irgendeiner Form oder Gestalt mit eigenen Sinnen erfasst oder
berührt hat. Neues kann er nicht erfinden, es muss ihm gezeigt werden. Und
dann ist er fähig, die Teile anders wieder zusammenzufügen.
Also ich brauchte neue
Anregungen, deshalb machte ich mich eines Morgens nach einer gut
ausgeschlafenen Nacht auf, die höchste Spitze zu erklimmen, um eine Richtung
auszuwählen. Ein kleiner Lederbeutel mit Tierdarmwänden ausgelegt diente als
Wasserbehälter und eine andere Ledertasche war mit getrocknetem Fisch,
Früchten und Körnern gefüllt. Die Sonne schien, ein Wanderaffe hätte sich
keine besseren Voraussetzungen wünschen können. Immer wieder sah ich mich um
und es schien mir, als ob dort irgendwo hinter mir in der Ferne die vagen
Silhouetten sich zu wirklichen Erinnerungen zusammenfänden.
Wieder lag ein grüner
Teppich vor mir, also ein Tag mit viel Wald. In der Ferne ließen sich
Trommeln hören. Rhythmisch wurden diese geschlagen. Als ich näher kam, sah
ich einen Hohen Priester, der am Ende einer langen Bambustreppe stand. Auf
dem Kopf trug er einen bunten Ring. Die Sonne hinter ihm schien genau durch
diesen Reif, da erhob er die Arme. „Seht die Herrlichkeit des Bananengottes!“
– rief er. Alle unten schauten in die Sonne, von der sie natürlich geblendet wurden.
Hinter ihnen ertönten die Trommeln noch lauter, von Zeit zu Zeit prallte
irgendetwas gegen eine Metallplatte, was einen hellen Klang erzeugte. Die
Affen waren wie hypnotisiert.
Von meinem Gebüsch aus
konnte ich mehreren von der Seite ins Gesicht sehen. Mit offenen Augen und
ausdruckslosen Gesichtern knieten sie da am Fuß der Treppe. Wohin war ich nun
wieder geraten? Da oben auf der Treppe stand eine Witzfigur, machte
irgendeinen Hokuspokus und die dummen Affen ließen sich verzaubern. Ein
junges Affenmädchen erhob sich und ging wie in Trance langsam die Treppe
hinauf. Es machte eigentlich fast den Eindruck, als ob sie schweben würde.
Oben angekommen legte sie das Tablett mit gebratenen Bananen nieder und kam
erneut herunter. Dann ging das nächste Mädchen mit einem Krug hinauf. So lief
das noch drei oder viermal. Als die Sonne den bunten Ring verlassen hatte,
wachten alle auf und verschwanden langsam im Wald.
Leise schlich ich mich um
den Hügel herum und fand den Hohen Priester, der sich gerade an den Speisen
gut tat. Ich ging auf ihn zu. Er war nicht sehr überrascht, mich zu sehen.
„Ich habe dich schon im Baum erblickt. Lass dich nieder, iss und erzähle mir,
woher du kommst!“ Ich tat, wie mir geraten wurde, aber stellte ihm lieber ein
paar Fragen. Ich hatte das Gefühl, dass er mir wahrscheinlich mehr erzählen
könnte, als meine Wenigkeit ihm. Er beobachtete mich einen Augenblick und
schien, ganz froh zu sein, dass er endlich einmal nicht zuhören musste,
sondern selbst seine Sorgen teilen konnte. „Ich bin dir dankbar, dass du
daran Interesse hast, etwas zu lernen und mir deine Aufmerksamkeit zu
schenken.“ – und mit diesen Worten begann er seine Geschichte.
Vor vielen Jahren hatte man
ihn, als den Klügsten, gewählt. Er sollte Gericht halten, für alle entscheiden
und sie führen. Alle wussten, dass er die Speisen für den Bananengott
verzehrte, aber sie wollten auf einfache Weise leben, wie im Paradies, in
bequemer Dummheit. Und dazu brauchten sie jemanden, der für sie dachte. In
seiner Regierungszeit gab es verschiedene Zeitspannen. Manchmal war er sehr
ehrgeizig und ließ sie etwas für das Allgemeinwohl errichten. Wenn er die
Nase voll hatte, war ein Tyrann. Er gab zu, dass es schwierig sei, immer
ausgeglichen auf jeden Blödsinn ruhig zu reagieren. Manchmal packte ihn der
Größenwahn und er glaubte dann wirklich, Gott zu sein. Es ist nicht leicht,
sich selbst immer im Griff zu haben, wenn es niemanden gibt, der von Zeit zu
Zeit Kritik übt, ihm seine Meinung sagt. Vor allem aber fühlte er sich
bestraft, weil er allein war, keine Familie hatte, eigentlich sein eigenes
Leben nicht genießen konnte. Um von allen geehrt zu werden, musste er auf die
Einfachheit des Daseins verzichten. „Wäre es nicht besser, sie zu
unterrichten?“ – stieß es aus mir hervor. Auch das hatte er schon versucht,
aber dann wieder aufgegeben, weil dies noch ermüdender sei. Und deshalb
verbrachte er seine Zeit damit, sein Volk zu beobachten, einen auszuwählen,
der nach seinem Tod die Aufgabe übernehmen würde. Bisher hatte sich aber kein
geeigneter Kandidat gefunden. „Vielleicht bist du zu gut zu ihnen? Wenn sie
die Erfahrung machen, was ein eigensüchtiger Gott ist, werden sie ihr
Geschick selbst in die Hand nehmen wollen.“ – „Müsste ich sie dazu bringen,
mich zu hassen? Hm! Hättest du nicht Lust, Gott zu spielen?“ Wahrscheinlich
glaubte er, in mir den gutmütigen Affen gefunden zu haben, der einmal seinem
Volk das weitere sorglose Leben ermöglichen werde. Ich hatte bis dahin schon
einiges erlebt, aber Gott war ich noch nicht gewesen. Einige Monde wohnte ich
versteckt hinter einem Gebüsch den Gerichtstagen und ähnlichen Versammlungen
bei und danach besprachen der Hohe Priester und ich, was in diesem oder jenem
Fall zu tun sei.
Sicherlich merkte er, dass
ich zwar ein interessierter und überlegter Ratgeber war, aber es mich auf
längere Sicht zu sehr langweilen würde. Und so fragte er mich dann eines
Morgens: „Ich sehe es in deinen Augen, es zieht dich weiter. Du hast ein
gutes Herz, aber die Rolle eines Gottes würde dich früher oder später zum
Wahnsinn treiben.“ Er hängte mir die Taschen mit Wasser und Nahrung über die
Schulter und lächelte traurig, drehte sich herum und ging zu Tempel zurück.
„Ein weiser Affe!“ – dachte ich, viel hatte er mir gelehrt und konnte in den
Gedanken anderer lesen. „Ein würdiger Gott!“ Aber doch eine Ausnahme unter
den Göttern.
Vor mir lag ein neuer Berg.
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Monday, 26 December 2016
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