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Der Jesus
Kurz nachdem er an Weihnachten geboren war, - dies erzählte ihm
seine Mutter später – wurde er sofort in die Kirche gebracht und in die
Krippe gelegt, wo er den neugeborenen Jesus verkörperte. Man hatte ein
ruhiges Baby gesucht, das die Messe nicht durch Schreine stören würde und
wunderte sich, mit welcher Geduld er alles über sich ergehen ließ. Fast
himmlisch anmutig wirkte sein Blick, mit dem er auf die anderen Teilnehmer
der Festspiele, die die Hirten und Könige darstellten, herabsah. Eine große
Zukunft wurde ihm vorausgesagt. Woraus diese eines einfachen Bauernsohns
bestehen sollte, wusste keiner genauer zu bestimmen.
Als er dann heranwuchs, meldete er sich immer, wenn man in der
Kirche oder auf dem Marktplatz eine Szene aus dem Neuen Testament aufführen
ließ. Jesus und die Gelehrten, später in der Synagoge, als er die Händler von
dort vertrieben haben soll. Er gefiel sich in dieser Rolle und hörte gern,
wenn Leute, die ihn nicht bei seinem richtigen Namen kannten, ihn den Jesus
nannten. Er versuchte, sogar ein ähnliches Leben zu führen. Nur mit den
Jüngern und den Wundern wollte es nicht so recht klappen.
Jeden Tag traf er beim Pfarrer ein und ließ sich ein paar neue
Einzelheiten aus dem Leben des Messias erzählen. Der Geistliche war höchst
erfreut, endlich einen Gläubigen zu haben, der nicht nur Angst vor Gott hat,
sondern wirklich gottesfürchtig war.
Jesus führte die Leute in die Wüste und hieß sie auf dem Gras
niedersitzen.“ Er wusste nicht genau, wie eine Wüste tatsächlich aussah, aber
wenn es dort Gras gab, musste es eigentlich so etwas wie eine Wiese gewesen
sein. Eine größere Menge Sand hatte er nur beim Kapellenbau gesehen und mehr
konnte er sich nicht vorstellen. Aber niemand wollte ihm auf die Wiese
folgen.
„Jesus lief auf dem Wasser.“ Das musste er erlernen, dachte er
bei sich. Damit würde er alle überzeugen. Er ging an den Fluss, um es
auszuprobieren. Wenn man wirklich glaubt, kann man Berge versetzen. Aber so
sehr er auch versuchte, sich wie Jesus zu geben, zu handeln und zu leben,
immer wieder versank er in dem Nass.
Und dann kamen die jährlichen Passionsspiele. Jemand wurde
gesucht, der die Rolle des Jesus übernehmen würde. Er meldete sich sofort und
wurde sogleich angenommen. Vor allem, weil es keine Mitbewerber gab. Man
musste mit ihm auch nicht sehr lange proben, weil er das Leben von Jesus
ziemlich gut kannte.
Als er auf der Bühne stand, breitete er seine Hände aus, richtete
seinen Blick nach oben und sah aus, wie einer der Heiligen auf den Bildern in
der Kirche. Jede Szene wurde gespielt, aber die Wunder mit dem Fischen- und Broten-Teilen
funktionierten auch jetzt nicht. Zum Glück gab es kein wirkliches Wasser, auf
dem er hätte laufen müssen, dies war nur ein blauer Streifen unten auf der
Leinwand. Aber er genoss alle Momente, man folgte seinen Worten und
Bewegungen, er hatte endlich Jünger, denen er das letzte Abendmahl darbieten
konnte.
Doch wunderte es ihn, dass der Schauspieler, der einen römischen
Soldaten darstellte, sich das Ohr nicht wollte abhauen lassen. Als er
gebunden wurde, um vor Pontius Pilatus geführt zu werden, flüsterte er dem
jüdischen Rabi ins Ohr, die Fesseln fester zu ziehen, weil er wirklich Jesus
sei. Die Peitschenriemen schnitten tief in seine Haut, Blut floss, aber er
wusste, dass er die Bewunderung der ganzen Stadtgemeinschaft hinter sich
hatte. (Für diese Darstellung hätte er siebenhundert Jahre später sicher
einen Oscar bekommen.)
Der Stil des Kreuzes war ein bisschen kürzer, weil die Bühne
höher stand und er dann sowieso fast über den Köpfen der Zuschauer hing. Er
musste es auch nicht so weit tragen, nur ein paar Mal die wenigen Meter über
die Bühne. Als man ihm nach eigenem Wunsch die Nägel durch die Hände und Füße
schlug, pisste und schiss er sich vor Schmerz in seinen Lendenschurz, bevor
er in Ohnmacht fiel. Als er wieder zu sich kam, ließ sich aus der Menge ein
leises Raunen hören. Das passierte eigentlich jedes Jahr und jeder dort unten
beneidete ihn an diesem Tag.
Drei Tage lang hing er nun auf dem Marktplatz, die meisten Leute
waren nach Hause gegangen, um zu essen, trinken und schlafen. Aber zum Gebet
kamen sie alle über den Tag verteilt. Seine Mutter saß die ganze Zeit unten
am Kreuz. Sie wusste nicht, ob sie weinen oder sich freuen sollte: Dort oben
hing ihr Sohn. Aber er spielte nicht so gut wie Jesus, er starb ein bisschen
früher. Als man eine Lanze in seine Seite stieß, merkte er schon lange nichts
mehr.
Dann wurde er herabgenommen und in eine Höhle in der Nähe der
Stadt gelegt. Man wartete auf seine Auferstehung, doch die wollte nicht
kommen. Seine Mutter musste höhnische Blicke und Bemerkungen ertragen. Ihr
Sohn war vielleicht doch kein Jesus?
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Monday, 28 December 2015
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