Saturday, 27 August 2016

183) Die Entwicklungsgeschichte einiger Gedanken
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Die Entwicklungsgeschichte einiger Gedanken
Es begann mit Aristoteles, einem aufmerksamen Beobachter, der als erster in Worte fasste, was der Mensch schon Jahrtausende macht. „Kraft und Wirkung!“ Doch auch er konnte mit Naturerscheinungen, wie Sonnenauf- und –untergang oder Wind, Regen und Blitz nichts anfangen, musste seinen Vorfahren folgen, die daraus Götter gemacht hatten. Der Mensch konnte grundsätzlich nur kleine Dinge beeinflussen.
Auch Franz von Assisi gab sich damit zufrieden. „Ich bin, weil in der Bibel steht, dass Gott mich geschaffen hat.“ Weiterhin ging er mehr auf soziale Fragen ein. So sollte sich jeder darauf beschränken, was das Geschick ihm bereitete. Im Schweiße seines Angesichts musste das tägliche Brot erwirtschaftet werden. Was darüber hinausging, war eine Sünde. Mehr zu haben oder zu verdienen, war eine Sünde. Zinsen für etwas Geliehenes waren eine Sünde. Das wirkliche Leben begann erst nach dem Tod.
Erst der Protestantismus brachte Änderung. Der Gläubige sollte das Reich Gottes schon auf Erden vorbereiten. So wurde angefangen, Profit zu erwirtschaften. Immer öfter Geld aus Geld, das zum Beispiel dem reichen Juden, von dem es vorher entliehen worden war, einfach nicht zurückgezahlt wurde, wenn der König oder Patrizier sich zu sehr verschuldet hatten. Geld entstand und verschwand wieder. Was für eine seltsame Welt! Etwas war oder kam von selbst!
Doch dies war der Gedankenanstoß für Newton. „Wir bringen nichts in Bewegung, alles ist schon in Bewegung. Wir können diese verlangsamen, beschleunigen oder ablenken.“ Bewegung durch oder von sich selbst! Kein König, kein Gott!
Ungefähr fünfzig Jahre später kamen die Ansichten über Wirtschaft an die Reihe. Adam Smith hatte drei Zustände genauer unter die Lupe genommen, indem er Bevölkerungswachstum, Preisentwicklung und Produktionssteigerung im Frankreich Ludwigs XV, im damals schon parlamentarischen England und in den englischen Kolonien in Nordamerika miteinander verglich. Seine Schlussfolgerung lässt sich kurz zusammenfassen: Das Chaos funktioniert am besten, die Wirtschaft reguliert sich selbst.
Hundert Jahre darauf kam der nächste große Wissenschaftler, Charles Darwin, der sich nicht nur dadurch auszeichnete, ein wirklicher Humanist im modernen Sinn zu sein. (Als er die Urvölker zum Beispiel Feuerlands sah, schrieb er: „Es gibt keinen Grund uns für besser zu halten, weil unsere Verfahren genauso waren.“) Er stellte fest, dass es in der Natur eine Entwicklung gibt, die nicht geradlinig oder planmäßig abläuft. Es steht kein Wille dahinter, der sie und in ihr uns in eine bestimmte Richtung lenken würde. Von Zeit zu Zeit bestehen Rückschläge, wird auf ältere Entwicklungszustände zurückgegriffen. War er sich bewusst, dass er Gott leugnete? Gott zu leugnen, bedeutet, der Autorität an sich zu widersprechen.
Der Grundsatz „Gott hat die Welt erschaffen“ wurde mit „Die Welt hat ihre naturwissenschaftlichen Gesetze“ und „Die Erkenntnis über diese Gesetzmäßigkeiten erweitert sich“ ersetzt.
Weiterhin sind wir besonders in der Atomphysik in Tiefen vorgedrungen, die sich nicht mehr festhalten, sondern nur noch durch ihre Erscheinungsform messen lassen.
Und welche Fragen werden wir uns in der Zukunft stellen? Vielleicht gibt es außer der Materie eine Antimaterie, Nebenmaterie oder Spiegelmaterie mit genau umgedrehten Gesetzmäßigkeiten? Gibt es wirklich ein Nichts? Wo ist oder Wie sieht die Verbindung zwischen Klassischer Physik, Atomphysik und Chemie?
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182) Kleinere Schriften VI 1) Ratschläge! 2) Ein Eintrag bei … 3) Es ziemt, sich … 4) Ne foglalkozz azzal, hogy … 5) Das Leben ist … 6) Die Jagd 7) Freude und Glück
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Kleinere Schriften VI
1) Ratschläge!
2) Ein Eintrag bei …
3) Es ziemt, sich …
4) Ne foglalkozz azzal, hogy …
5) Das Leben ist …
6) Die Jagd
7) Freude und Glück


Ratschläge!
-       Mache dich zum Clown, in den Augen jener, die ein Vorbild brauchen!
-       Zieh diene älteste Kleidung an, in einer chicken Gesellschaft!
-       Treibe nur Sportarten, die fast nichts kosten!
-       Sag, dass du Südspanier bist! Lass deine Haare braun oder schwarz färben, damit du auch so aussiehst!
-       Fahre kein Auto!
-       Und wohne in einer sehr kleinen Wohnung!
-       Sprich unverständlich!
Und wenn dir dann noch immer jemand nachläuft, soll das dein Freund sein, weil er sich wirklich für dich interessiert und dein Spiel durchschaut hat, oder weil er vielleicht selbst ausgestoßen ist.


Ein Eintrag bei LinkedIn zeigt zwei modische, junge braungebrannte Mädchen im Bikini. Darunter der Kommentar von sich zu ernstnehmenden Bürosklaven: „Verkaufen die ihren Körper oder ihr Gehirn?“ „LinkedIn wird bald LingerieIn!“ Mein Eintrag dazu: „Snobs im Anzug, die der hübschen Sekretärin unter den Rock schauen und zu Hause heimlich Pornos gucken, wenn die Ehefrau schon schläft.“


Es ziemt, sich jeder der tausend Facebook Bekannten zum Geburtstag zu gratulieren. Dabei lässt der Schreiber von Zeit zu Zeit seiner Phantasie freien Lauf: „An diesem Tag soll der Boden unter deinen Füßen mit seidenen Rosenblütenblätter bedeckt sein!“ Zwei Tage später bemerkt er, dass sie ihr Geburtsdatum geändert hat und zwei Tage später wieder Geburtstag haben will. „Am heutigen Tag soll es seidene Rosenblütenblätter auf dich regnen!“ Wer hat hier wessen Bedürfnis nach Romantik genüge getan?

Ne foglalkozz azzal, hogy eladható-e, ha maradandót akarsz alkotni!

Das Leben ist wunderschön, aber nicht gerecht!

Die Jagd
Wie durch vom Wind hin und her gewehte Blätter fielen die Lichtstrahlen, kleine Gestalten, wie verschiedene Tiere, bewegten sich fast rhythmisch. Das eine oder andere sah beinahe aus, wie ein Gesicht. Und der bis zu den Zähnen bewaffnete Jäger suchte sein Opfer, seine Beute.
Und da war es wieder, ein liebliches rot mit blauen und weißen Streifen, langes, hellbraunes Haar fiel über die Schultern der Beute.
Er trat aus seinem Unterschlupf heraus und begab sich langsam, wie ein Tiger, in diese Richtung, kämpfte sich durch das Dickicht. Ein Dschungel beweglicher Gestalten, diese und jene musste er umgehen, verlor dabei zeitweise seine Beute aus den Augen, bis sie wieder auftauchte, dann ging es weiter. Als ob sie ihren Jäger bemerkt hätte, wich sie mal nach links, dann wieder nach rechts ab.
Aber jetzt war sie so nahe, dass er fast ihren Hauch fühlen konnte. Ein schneller Griff und er hatte sie gepackt, trug sie in Richtung eines Verstecks, sie wehrte sich nicht, atmete nur aufgeregt.
Als es um sie still geworden war, weil die Disko in einiger Entfernung lag, küsste er sie.

Freude und Glück
Mann: Was sind Freude und Glück?
Frau: Das ist wie bequeme Schuhe!
Mann: Dann werde ich dich meine Schuhe nennen!
Frau: Aber dann musst du sie auch küssen!
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Monday, 15 August 2016

181) I) Wie schön wäre es doch
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I) Wie schön wäre es doch
Noch ein Strich hier, ein wenig Puder da. Punkt, Punkt, Komma, Strich, fertig ist das Mondgesicht! – hätte der sie Murmeln hören, der neben ihr gesessen hätte. „Oh, wie wunderbar wäre es, ein Mann zu sein!“ – dachte sie, aber erinnerte sich sofort daran, was ihr Exmann immer über Anzug und Krawatte gesagt hatte. Er hasste diese Maskerade. „Die, mit den teuersten Anzügen, blankpolierten Lackschuhen, perfekt rasiert und gestriegelt, die sind alle link, haben kein Rückgrat, küssen die Füße der Vorgesetzten, sind hinterlistig gegenüber den Kollegen und treten nach allem, was unter ihnen steht.“ Genau darum hatte sie ihn eigentlich verlassen, er hatte keinen Charakter, keine Persönlichkeit, war ein richtiger Karrieremann. Hatte der überhaupt eine eigen Meinung? Aber zu seiner Zeit zog sie sich solide an. Das war die Erwartung in seinen Kreisen gewesen. Sie lächelte wie auf Knopfdruck. Deshalb ging sie damals einmal in der Woche wegen Gesichtsmassage zum Kosmetiker. Der musste nämlich den Krampf aus den Gesichtsmuskeln herausmassieren. Einmal hatte er ihr vorgeschlagen, nach jeder Stunde Lächeln in eine Zitronenfrucht zu beißen, weil das die Muskelstränge wieder in die andere Richtung ziehen würde. Dabei hatte sie dann von Herzen lachen müssen.
Ihre nächste Bekanntschaft war ein richtiger Macho, eifersüchtig. Aber der nahm wenigstens Viagra, um im Bett gut zu sein. Einmal machte er es eine ganze Nacht, sie konnte am nächsten Tag kaum laufen. Heute erinnerte sie nur die Goldkette an diese Zeit, aber leer war ihr Leben auch mit ihm. Zuerst ein Affe im Anzug und dann ein Stier. Aber sie hatte damals sexy Kleidung getragen, wirklich weiblich.
Der dritte war ein Liberaler. Man hörte ihn viel davon plaudern, dass die Frauen gleichberechtigt seien, ihren eigenen Weg finden müssen. Sie bekam, keine Blumen, musste oft allein aufstehen, und das Wochenende verbrachte man mit Gesellschaftsarbeit. Das war meist eine Demonstration oder Diskussionsgruppe. Wie sie leider feststellen musste, beschäftigte sich dieser Mann ohne Vorurteile mit sehr vielen und interessanten Dingen, nur für sie hatte er überhaupt keine Augen. Sie lebte einfach neben ihm hin.
Man bräuchte vielleicht eine Mischung aus diesen dreien. Oder, hm? Anstatt: „Ich denke, also bin.“ nur: „Ich bin der Mann, den ich habe.“? Hatte sie denn nichts gelernt? Selbst Karriere mache? Sie sieht das an ihrer Freundin, die ist auch nicht ausgeglichener oder zufriedener. Dann gab es da eine mit fünf Kindern, eine andere mit einem. So kleine Dinger bedeuten viel Freude, aber man, oder besser Frau, ist da absoluter Sklave! Der Sinn des Lebens, oder der Sinn der Frau ist die Vermehrung? Gibt es da denn nichts bei dem man oder Frau sich wirklich wie eine Frau fühlen kann, mit etwas Kreativität, Abwechslung, interessant. Stattdessen saß sie hier vor dem Spiegel und malte sich Grimassen ins Gesicht.
II) Wie schön wäre es doch
Schon im Kindergarten stellte er sich immer in die Reihe, tat sofort, was die Tante dort sagte. In der Schule lernte er wie ein Musterknabe, war nur als Streber bekannt. Die Uni absolvierte er in Rekordzeit. Und weil er an seinem ersten Arbeitsplatz sogleich verstand, wie es dort lief, gemeint sind hier Krawatte und Füße küssen, wurde er bald Abteilungsleiter. Beim jährlichen Betriebsfest stellte man ihn dem Betriebsratsvorsitzenden vor. Was für eine Karriere! Aber er hatte überhaupt von nichts eine Ahnung, führte nur die Befehle aus und niemand außer der Vorgesetzten schwärmte für ihn, als …….
Tja, was war das eigentlich gewesen, dieser Vorfall? Er lag am Palmenstrand, nicht vom Luxushotel, in Badehose. Zuerst weiß wie Schnee und nach einer halben Stunde rot wie ein Krebs. Eine Gruppe junger Leute machte gerade in der Nähe unter Palmen eine Party. Sie waren alle schokoladenbraun, liefen, sprangen, schwammen und spielten Strandvolleyball. Als er sich dorthin begab, wurde er ausgelacht. Ja richtig! Ohne Anzug und Firma sah er wirklich witzig aus. Und überall in dem Touristendorf versuchte man ständig, ihm irgendeinen Ramsch anzudrehen. Er musste etwas ändern!
Wieder zu Hause angekommen, ging er ins Fitness-Center und ließ sich beraten. Man fertigte einen Trainingsplan an und gab ihm eine Adresse, wo er bestimmte Mittel kaufen sollte. Mit Spritze, Ernährungsergänzungsmitteln und Viagra ausgestattet begann er sein neues Leben. Natürlich durfte auch Solarium, die richtige Kleidung und Goldkette nicht fehlen. Nach einem Jahr sah er aus wie ein Striezel. Ein sportliches Auto tat den Rest, um beim weiblichen Geschlecht anzukommen. Vor allem Frauen zwischen dreißig und fünfunddreißig, die gerade ihre Scheidung mit einem Karrierefreak hinter sich hatten, bildeten seine Hauptbeute. Mit fünfunddreißig gab es einen kleinen Zusammenbruch, weil sein Stoffwechsel die vielen Wirkstoffe nicht mehr verarbeiten wollte.
Was blieb ihm übrig, als wiederum sein Leben völlig zu ändern. Nach einer Rehabilitationszeit von einem Jahr fühlte er sich erneut ganz gesund, ging in der Woche zweimal schwimmen, dreimal joggen, ernährte sich gesund und lief weniger den Frauenröcken hinterher.
Doch was sollte jetzt die ideologische Grundlage bilden? Rechtsgerichtet? Das waren nur Schreihälse, die wie Hunde nur dann angriffen, wenn sie in der Überzahl waren, sonst sich aber als Feiglinge erwiesen. Vielleicht religiös? Er begann, die Bibel zu studieren. Ein interessantes Geschichtsbuch. Der jüdische Gott war manchmal ziemlich brutal gewesen. Und Jesus? Der war intolerant. Wie kann auch jemand so etwas sagen: „Wenn du nicht für mich bist, so bist du wider mich.“? Aber sonst, hm. Wissen die heutigen, sich selbst so nennenden Christen überhaupt, was in diesem Buch geschrieben steht? Er musste feststellen, dass er ziemlich der einzige war, der dieses Werk wirklich von der ersten bis zur letzten Seite gelesen hatte.
Jetzt blieb nur noch Esoterik, Liberal, Alternativ. Die Esoteriker! Zuerst musste er sich darüber informieren, was dieses Wort eigentlich bedeutet. „Die Eingeweihten“ – besagte das Lexikon, ein altgriechisches Wort. In den Regalen der Buchhandlungen fand er unter dieser Rubrik Verschwörungstheorien, vermischt mit Mystizismus und östlichen Religionen. Viele fraßen das wie Zucker, hatten dabei ein verzogenes Lächeln, wie ein buddhistischer Mönch auf dem Gesicht, aber eigentlich keine Ahnung von irgendetwas. Naja, wenn ihnen das genügte, doch ihn befriedigte das nicht.
Bei den Alternativen erging es ihm nicht viel besser, eine Anzahl an aberwitzigen Ideen und Vorstellungen, die sehr schön klangen, aber bei genauerem Hinsehen einfach zu flach waren. Und die Liberalen? Seine letzte Hoffnung! Grundsätzlich interessierten die sich eigentlich für nichts. Ihr Leitspruch ließe sich so zusammenfassen: „Tritt mir nicht auf die Füße, damit ich mich nicht mit dir beschäftigen muss!“ Als dann in verschiedenen Ländern neofaschistische Parteien an die Macht kamen, waren sie unfähig, sich mit vereinten Kräften gegen diese Reise in die neunzehnhundertdreißiger Jahre aufzulehnen.
Jetzt war er fünfzig und suchte noch immer! „Wer sucht, der findet!“ – hatte irgendeine Witzfigur einmal gesagt.
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Tuesday, 9 August 2016

180) Das Gesetz
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180
Das Gesetz
Es war Abend und die Menge hatte sich schon lange aufgelöst. Sie kniete allein vor dem Schafott und betrachtete ihre Eltern, die dort hingen. Manchmal sprach sie zu ihnen, aber niemand antwortete. Hunger und Durst verspürte sie nicht, nur eine abgestumpfte Ungläubigkeit, als ob sie nicht verstehen wollte, was passiert war.
Der Landherr hatte ihre Mutter begehrt, sie widerstand ihm, er gebrauchte Gewalt, sie schrie, ihr Mann kam, sie kämpften, der Fürst unterlag und rief seine Soldaten, sie nahmen die Eltern, steckten sie ins Gefängnis. Am nächsten Tag gab es die Verhandlung, zehn Minuten, dann das Urteil, Tod durch Erhängen. Ihre Eltern waren tapfere Leute gewesen, ohne einen Laut waren sie gestorben. Und das zehnjährige Mädchen hatte zusehen müssen.
Bis zum Morgen war sie vor Müdigkeit zusammengesunken. Jemand kam und brachte die Erschöpfte ins Waisenhaus. Tagelang nahm sie nichts zu sich, gab keinen Mucks von sich, bewegungslos auf dem Lager aus Stroh und Kartoffelsäcken. Am dritten Tag kam eine Nonne, hob ihr ein bisschen den Kopf und flößte ihr langsam ein wenig dünne Mehlsuppe ein. Sie stand noch immer unter Schock und lag meist mit offenen Augen da. Nach drei Wochen wurde sie in den Garten zu einer Bank geführt, in der Hoffnung, dass das Zwitschern der Vögel und der Duft der Blumen ihr neuen Lebenswillen einhauchen würden. Nach weiteren zwei Monaten ging sie dann in die einklassige Schule des Waisenhauses, aber sprach noch immer nicht, nickte nur, oder schüttelte langsam den Kopf, wenn sie angesprochen wurde. Niemand wusste, was sie gerade dachte, weil ihr Gesicht keine Gemütsrührung verriet. Sie las, schrieb manchmal etwas, wie in einer Geheimschrift, nahm immer öfter an den Hausarbeiten teil, blieb dennoch weiterhin stumm. Mit fünfzehn wurde sie dann gefragt, ob sie für immer als Nonne im Kloster verweilen wolle.
Der Orden hätte ihr Sicherheit gegeben, aber aus irgendeinem Grund lehnte sie es ab. Das Kloster hatte viele Geschäfte und Stände in der Gemeinde, um seine Erzeugnisse zu verkaufen. Also übernahm sie die Stelle in einem dieser Läden. Hinter dem Verkaufsraum gab es eine kleinere Kammer, jene sollte ihr zu Hause werden.
Sie war jetzt schon 16 und noch immer nicht verheiratet. Aber als Waisenkind hatte sie darauf auch keine guten Aussichten. Ein solches Mädchen galt für die Männer als Freiwild. Und da sie nicht gerade hässlich war, wäre sie auch für die wohlhabenderen ein kleines Abenteuer wert gewesen. Der Ruf einer Frau ist schnell zerstört, vor allem wenn sie alleinstehend ist. So verließ sie den kleinen Laden nur, um einzukaufen, Wasser aus dem Dorfbrunnen zu holen oder am Sonntag in die Kirche zu gehen. Keine Aufmerksamkeit erregen hieß die Devise, deshalb trug sie sowohl im Winter, als auch im Sommer ein langes Kleid, wobei nur die Hälfte ihres Gesichts und die Spitzen ihrer Finger zu sehen waren. Die Abende verbrachte sie mit Sticken, Nähen oder dem Lesen eines Buches aus der Klosterbibliothek, wohin sie sich täglich begab, um die Einnahmen abzuliefern und die Lagerbestände für den Laden aufzufüllen.
Während der Nacht verriegelte sie Fenster und Tür. Räuber und Diebe waren selten, es waren mehr die Handlanger des Landherrn oder er selbst, die die Nacht unsicher machten. Wenn er durch die Gemeinde ritt, verschwanden alle Leute in ihren Häusern, um nicht aufzufallen. Nur der Bürgermeister kam aus dem Rathaus, den hohen Herrn zu begrüßen. Aber irgendwann war sie nicht schnell genug gewesen, er hatte sie erblickt. Der Bürgermeister gab ihm dann auch sofort hilfsbereit Auskunft, wo sie wohne. In der Nacht kamen dann seine Leute und nahmen sie mit. Die Nachbarn waren froh, dass er es nur auf die arme Waise abgesehen hatte. Sie wurde nie wieder gesehen.
Die Geschichtsbücher erzählen nur über einen Fürsten, der prachtvolle Paläste bauen ließ, den die ganze Welt fürchtete, der große Eroberungen machte, dessen Krone, die er vom Papst bekommen hatte, heute im Parlament ausgestellt ist. Und dann gibt es heute Nationalisten, die auch noch auf so einen stolz sind.
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Sunday, 7 August 2016

179) IV) Guten Morgen
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IV Guten Morgen
„Du willst also, dass ich an der Gesellschaft teilnehme. Hm! Aber sie wollen doch alles ausschließen, was anders ist!“ – „Richtig, alles, weil es unbequem ist.“ – „Unbequem? Ich beschäftige mich nicht mit ihnen. Warum wollen sie mich dann nicht in Ruhe lassen.“ – „Die Sache ist nicht ganz so einfach. Stell dir vor, du gehst jeden Morgen den gleichen Weg, aber jeden Abend ändert jemand die Buslinie, die Fahrtrichtung in Einbahnstraßen und so weiter! Jeden Morgen müsstest du ihn neu entdecken. Das ist unbequem. Auch Leute, die anders sind, sind unbequem.“ – „Haha, ein gutes Beispiel. Also, du möchtest sagen, dass der Mensch ein Gewohnheitstier ist. Oder ich würde das Faulheit nennen. Und dann denken sie auch noch, dass sie besser sind. Dabei ist es egal, ob wir über Gläubige, Konservative oder Alternative und Liberale sprechen. Der eine der seinen Nachbarn verurteilt, weil er homosexuell ist, und der andere, der sein Haus mitten in den Wald baut, weil er die Natur ‘so‘ liebt.“ – „Jede Gruppe, Richtung oder Mode hat ihren eigenen Kodex. Man könnte es auch als Snobismus bezeichnen. Grundsätzlich gibt es Sitten, Bräuche. Daraus wird Moral, die dir von der Umgebung aufgezwungen wird. Auf der anderen Seite stehen Grundsätze, die du dir selbst aufbauen musst. Das letztere ist harte Arbeit, deine eigenen Wertvorstellungen in dir zusammenstellen.“ – „Wenn ich dich richtig verstanden habe, möchtest du damit ausdrücken, dass gesellschaftliche Arbeit eigentlich bedeutet, Leute zu erziehen, ihre eigenen Gedanken zu haben. Ist das überhaupt möglich?“ – „Betrachten wir ein bisschen die Geschichte! Vom Sklaven, dessen Leben mit dem des Pharaos endete zum heutigen Menschen.“ – „In Ordnung, es wurde schon ein wenig besser. Aber stell dir eine Firma vor! Sie kann nur funktionieren, wenn sich alle eingliedern. Wenn da jeder versuchen würde, seine eigenen Ansichten zu verwirklichen, bräche alles zusammen. Du kannst von Leuten nicht erwarten, dass sie sich am Arbeitsplatz wie wirkliche Sklaven verhalten, aber dann im Privatleben den Kopf benutzen.“ – „Du meinst, Erziehung sei nicht genug?“ – „ Richtig! Irgendwann hat Marx geschrieben: ‘Die Arbeit bestimmt dein Bewusstsein.‘ Diese Aufgabe ist zu groß oder weitgehend für mich. Ich kann die Leute beeinflussen, aber ich kann den wirtschaftlichen Ablauf nicht verändern.“ – „Das brauchst du auch nicht! Mit dem entstehenden Bewusstsein kommt es zu wünschen und neuen Bedürfnissen. Der Mensch wird dann von selbst danach streben.“ – „In fünftausend Jahren!“ – „Dann wärest du für sie veraltet, wie heute Ku-Klux-Klan.“ – „Gibt es keine Werte oder Ansichten, die ewig gelten? Zum Beispiel Hippokrates oder Demokratie?“ – „Auch die Demokratie von Athen hat sich weiterentwickelt. Nicht nur die Mehrheit zählt, sondern die Würde des Menschen, die Teilung der Staatsgewalten.
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Monday, 1 August 2016

178) III) Guten Morgen
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III) Guten Morgen
„Du hast Recht, wenn du sagst, dass jeder diesen Kampf selbst ausfechten muss, aber der größte Schritt ist wahrscheinlich nicht einmal die Selbstemanzipation.“ – „Wie verstehst du das? Ist nicht jeder für sich selbst sein größtes Hindernis?“ – „Es ist doch ein Unterschied, ob dir jemand hilft, sich gleichgültig verhält oder dir Steine in den Weg legt. Sehr viele, die den Sprung aus der Dunkelheit in die Freiheit geschafft haben, sind stolz und glücklich, über anderen zu stehen, nicht mehr die letzten zu sein, und sehr darauf bedacht, ihre Position, gegen alles, was von unten nach oben strebt, gegen die Oberen hätten sie ja sowieso keine Chance, zu schützen. Alle haben den Wunsch, etwas Besseres zu als ihr nächster zu sein.“ – „Du bist zwar kein Psychologe, aber ein sehr guter Beobachter. Diese Beschreibung gilt auch für die türkische Gesellschaft. Als ob sie alle eine Rangordnung, eine Hierarchie brauchen würden.“ – „Wenn du dich nicht mit oder in dir selbst bestimmen kannst, beginnst du Vergleiche anzustellen.“ – „Dann baust du deine Selbstbestimmung wegen fehlenden Selbstvertrauens auf der Unterdrückung anderer auf.“ – „Wie bringt man jemanden dazu, unabhängig zu denken und handeln? Wie war das bei dir?“ – „Es genügt nicht, sich anderen gegenüber liberal zu verhalten. Der Liberalismus besteht grundsätzlich eigentlich nur darin, sich nicht mit anderen zu beschäftigen. Du musst ihnen die Möglichkeit geben, sich selbst zu entfalten. Du muss sie darauf aufmerksam machen, wozu sie fähig sind. Mir zum Beispiel haben verschiedene Lehrer geholfen. Das war viel Arbeit mit kleinen Schritten und Erfolgen. Sie halfen mir, langsam ein Selbstvertrauen aufzubauen.“ – „Hm! Der Liberalismus war anfänglich eine Freiheitsbewegung gegen Adel und neureiche Bürger und veraltete Gesellschaftsnormen. Auf allen Gebieten der Wissenschaft, Kunst, Wirtschaft.“ – „Sie behinderten andere nicht, aber sie versuchten auch nicht anderen zu helfen. Alle sprinteten sie den Berg hinauf, einige waren erfolgreich. Aber sie ließen die Massen zurück und verloren den Kontakt zu ihnen.“ – „Und so kamen dann Populisten, die diesen Zurückgebliebenen irgendeine Hoffnung in Form eines ideologischen Blödsinns eintrichterten.“ – „Ich weiß, was du denkst. Auch du bist enttäuscht. Nicht weil du zurückgeblieben wärest, sondern weil du keine Lust hast, dich mit anderen abzugeben. Eigentlich bist du faul und möchtest deine Zeit nur mit Sachen verbringen, die dich inspirieren. Aber du kannst nicht aussteigen, selbst wenn du dich auf einer einsamen Insel verstecken würdest.“ – „Was soll ich tun? Eine Revolution anzetteln?“ – „Du bist kein Egoist, sondern nur ein Einsiedler, sprichst gern mit Leuten, aus diesen Gesprächen und Beobachtungen schöpfst du deine Ideen, brauchst aber viel Zeit für dich selbst. Eine Familie kannst du nicht gründen, dazu bist du nicht der Richtige. Du bist geboren, ein Licht in der Ferne, ein Symbol zu sein.“ – „Du bist wenigstens ein genauso guter Beobachter, wie ich. Aber was willst du dann mit mir?“ – „Ich möchte mich nicht von dir heiraten lassen, oder mich mit dir verheiraten. Dafür suche ich mir einen anderen. Aber bevor ich mich für einen entscheide, brauche ich noch ein bisschen Unterricht, Hoffnung und Licht. Vielleicht erziehe ich mein Kind oder Kinder auch allein.“ – „Wäre das das Ergebnis meines Liberalismus? Der Mensch würde am Ende vereinsamt leben und sterben.“ – „Ich sehe die Sache oder Zukunft nicht ganz so schwarz. Was ist natürlich? Bei den Menschenaffen gibt es ein Männchen dem alle Weibchen folgen. In Nepal haben mehrere Männer gemeinsam eine Frau, weil sie sie nur so ernähren können. Aber erst seit der Mensch die Möglichkeit hat, sich zurückzuziehen, nachzudenken, um dann wieder mit anderen zusammenzukommen, um diese Gedanken auszutauschen, geht die Entwicklung immer schneller voran. Er sitzt wie ein Huhn auf seinen Ideen und brütet sie aus. Aber daran muss sich der Mensch natürlich zuerst gewöhnen.“ – „Naja, er hat sich daran gewöhnt, im Dorf, später in der Stadt oder im Staat zu leben. Natürlich oder normal ist, was wir gerade haben. Ein heutiger Mensch würde in einer mittelalterlichen Gesellschaft seelisch zugrunde gehen.“
„Aber sag mal! Du möchtest deine Kinder allein erziehen, allein leben. Das klingt fast wie eine Emanze!“ – „Wenn ich dich nicht so gut kennen würde, wäre ich jetzt vielleicht enttäuscht. In einer liberalen Gesellschaft kann jeder so leben, wie es ihm beliebt. Der eine ist homosexuell, der andere braucht eine unterwürfige Frau, oder sie braucht einen richtigen Macho, der ihr jeden Abend so wirklich den Hintern versohlt. Jeder soll bekommen, was er oder sie will. Besonders aus den neuen, osteuropäischen Mitgliedstaaten kommen sehr viele sowohl Männer, als auch Frauen. Die Frauen dieser Länder passen sich besser an die neue Umgebung an, merken sehr schnell, dass der westeuropäische Mann meist keine Emanze, aber auch keine Sklavin haben will. Der osteuropäische Mann dagegen scheint, nichts gelernt zu haben. Einem Goethe kann ich es nicht mehr übel nehmen, wenn er vor zweihundert Jahren seinem Faust in den Mund legte: „Liebe Margarethe, wenn du nicht willst, so gebrauche ich Gewalt!“ Vor allem weil er damit wahrscheinlich nur ausdrücken wollte, dass er sie über alles begehrte, aber ihr niemals wehtun würde. Diese Männer aus Osteuropa wiederum versuchen auch gar nicht, die hiesigen Frauen zu verstehen, und sind dann empört, wenn sie zurückgewiesen werden. Danach erzählen sie allen möglichen Blödsinn über westliche Frauen. Das geht vom ‘Sie seien prüde.‘ bis zu ‘Die wissen gar nicht, was eine richtige Familie sei.‘“ – „Aber was für eine Lösung siehst du?“ – „Du würdest natürlich am liebsten alles stehen und liegen lassen und einfach aussteigen. Aber da kannst du sicher sein, dass es dich einholt. Das extremste sind Zusammenstöße zwischen verschiedenen Volksgruppen. In sehr vielen Städten und Ländern gibt es Ghettos. Die Reichen und Mittelständischen begeben sich nicht dorthin, weil sie Angst haben. In ihren eigenen Wohnbezirken haben sie an jeder Ecke Kameras und Sicherheitspersonal. Dort fristen sie ihre Tage, wie in einem Luxusgefängnis, und merken nicht, dass das auch für sie selbst nicht mehr gut ist.
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