180) Das Gesetz
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Das Gesetz
Es war Abend und die Menge
hatte sich schon lange aufgelöst. Sie kniete allein vor dem Schafott und
betrachtete ihre Eltern, die dort hingen. Manchmal sprach sie zu ihnen, aber
niemand antwortete. Hunger und Durst verspürte sie nicht, nur eine abgestumpfte
Ungläubigkeit, als ob sie nicht verstehen wollte, was passiert war.
Der Landherr hatte ihre
Mutter begehrt, sie widerstand ihm, er gebrauchte Gewalt, sie schrie, ihr
Mann kam, sie kämpften, der Fürst unterlag und rief seine Soldaten, sie
nahmen die Eltern, steckten sie ins Gefängnis. Am nächsten Tag gab es die
Verhandlung, zehn Minuten, dann das Urteil, Tod durch Erhängen. Ihre Eltern
waren tapfere Leute gewesen, ohne einen Laut waren sie gestorben. Und das
zehnjährige Mädchen hatte zusehen müssen.
Bis zum Morgen war sie vor
Müdigkeit zusammengesunken. Jemand kam und brachte die Erschöpfte ins
Waisenhaus. Tagelang nahm sie nichts zu sich, gab keinen Mucks von sich,
bewegungslos auf dem Lager aus Stroh und Kartoffelsäcken. Am dritten Tag kam
eine Nonne, hob ihr ein bisschen den Kopf und flößte ihr langsam ein wenig
dünne Mehlsuppe ein. Sie stand noch immer unter Schock und lag meist mit
offenen Augen da. Nach drei Wochen wurde sie in den Garten zu einer Bank
geführt, in der Hoffnung, dass das Zwitschern der Vögel und der Duft der
Blumen ihr neuen Lebenswillen einhauchen würden. Nach weiteren zwei Monaten
ging sie dann in die einklassige Schule des Waisenhauses, aber sprach noch
immer nicht, nickte nur, oder schüttelte langsam den Kopf, wenn sie
angesprochen wurde. Niemand wusste, was sie gerade dachte, weil ihr Gesicht
keine Gemütsrührung verriet. Sie las, schrieb manchmal etwas, wie in einer
Geheimschrift, nahm immer öfter an den Hausarbeiten teil, blieb dennoch
weiterhin stumm. Mit fünfzehn wurde sie dann gefragt, ob sie für immer als
Nonne im Kloster verweilen wolle.
Der Orden hätte ihr
Sicherheit gegeben, aber aus irgendeinem Grund lehnte sie es ab. Das Kloster
hatte viele Geschäfte und Stände in der Gemeinde, um seine Erzeugnisse zu
verkaufen. Also übernahm sie die Stelle in einem dieser Läden. Hinter dem
Verkaufsraum gab es eine kleinere Kammer, jene sollte ihr zu Hause werden.
Sie war jetzt schon 16 und
noch immer nicht verheiratet. Aber als Waisenkind hatte sie darauf auch keine
guten Aussichten. Ein solches Mädchen galt für die Männer als Freiwild. Und
da sie nicht gerade hässlich war, wäre sie auch für die wohlhabenderen ein
kleines Abenteuer wert gewesen. Der Ruf einer Frau ist schnell zerstört, vor
allem wenn sie alleinstehend ist. So verließ sie den kleinen Laden nur, um
einzukaufen, Wasser aus dem Dorfbrunnen zu holen oder am Sonntag in die
Kirche zu gehen. Keine Aufmerksamkeit erregen hieß die Devise, deshalb trug
sie sowohl im Winter, als auch im Sommer ein langes Kleid, wobei nur die
Hälfte ihres Gesichts und die Spitzen ihrer Finger zu sehen waren. Die Abende
verbrachte sie mit Sticken, Nähen oder dem Lesen eines Buches aus der
Klosterbibliothek, wohin sie sich täglich begab, um die Einnahmen abzuliefern
und die Lagerbestände für den Laden aufzufüllen.
Während der Nacht
verriegelte sie Fenster und Tür. Räuber und Diebe waren selten, es waren mehr
die Handlanger des Landherrn oder er selbst, die die Nacht unsicher machten.
Wenn er durch die Gemeinde ritt, verschwanden alle Leute in ihren Häusern, um
nicht aufzufallen. Nur der Bürgermeister kam aus dem Rathaus, den hohen Herrn
zu begrüßen. Aber irgendwann war sie nicht schnell genug gewesen, er hatte
sie erblickt. Der Bürgermeister gab ihm dann auch sofort hilfsbereit
Auskunft, wo sie wohne. In der Nacht kamen dann seine Leute und nahmen sie
mit. Die Nachbarn waren froh, dass er es nur auf die arme Waise abgesehen
hatte. Sie wurde nie wieder gesehen.
Die Geschichtsbücher
erzählen nur über einen Fürsten, der prachtvolle Paläste bauen ließ, den die
ganze Welt fürchtete, der große Eroberungen machte, dessen Krone, die er vom
Papst bekommen hatte, heute im Parlament ausgestellt ist. Und dann gibt es
heute Nationalisten, die auch noch auf so einen stolz sind.
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Tuesday, 9 August 2016
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