Learn languages (via Skype): Rainer: + 36 20 549 52 97 or + 36 20 334
79 74
|
------------------------------
|
Verständlich
Viele Gedanken schwirren uns im Kopf herum, und wenn zwei
davon in eine ähnliche Richtung gehen, werden wir darauf aufmerksam.
Bei dem ersten Gedanken dreht es sich darum, dass jeder von
uns schon einmal die Erfahrung gemacht hat, wie schrecklich es für alle
Beteiligten ist, wenn jemand seinen Beruf nicht liebt, und dazu vielleicht
noch mit Menschen arbeiten muss. Der Lehrer, der mit seinen Schülern nichts
anfangen kann, der Pfleger, der sich vor dem Körper eines Kranken ekelt, der
Sozialarbeiter, der auf seine Schützlinge herabsieht, usw. Hier möchte einer
diese Leute gerne fragen, warum sie nicht einfach den Beruf wechseln, weil
das für alle besser wäre.
Aber was geschieht, sollte jemand ohne eigene Schuld oder
Zutun in so eine Situation hineinrutschen, wenn zum Beispiel der Ehepartner
durch einen Unfall oder eine Krankheit plötzlich ständiger Pflege bedarf?
Beim zweiten Gedanken handelt es sich um eine Familie mit
zwei Kindern, der Vater ein normaler, tüchtiger Handwerker, die Mutter eine
Kassiererin in einem Kaufhaus, die Töchter lernten mit durchschnittlichem
Ergebnis in der Mittelschule. Die Familie mietet eine kleine Wohnung am Rande
der Stadt, in der jede Tochter ihr kleines aber eigenes Zimmer hatte. Mit
neunzehn und zwanzig zogen die Kinder aus, um entweder mit einem Partner
zusammen zu sein, oder allein ein eigenes Leben aufzubauen.
Der Vater kaufte einen Wohnwagen, um seinen Jugendtraum
zu verwirklichen, mit seiner Frau ganz Europa zu durchreisen. Sie waren jetzt
fünfzig, also im besten Alter, verbrachten ihren Sommerurlaub in ihrem
fahrenden Haus in Skandinavien und den Winterurlaub in Griechenland,
Süditalien oder Südspanien. Das hatten sie drei Jahre lang gemacht, als die
Frau an ihrem Arbeitsplatz einen Infarkt erlitt.
Jeden Tag war er im Krankenhaus, brachte ihr Blumen, wie
in der ersten Zeit ihrer Beziehung, las ihr etwas vor, unterhielt sie oder
erzählte ihr über die Pläne für die nächste Reise, die er schmiedete. Die
Ärzte machten ihn darauf aufmerksam, dass seine Frau ständiger Pflege und
Ruhe bedarf. Hieß dies, dass sie nicht mehr reisen konnten? Den ersten
Winterurlaub verbrachten sie zu Hause. An Weihnachten kamen die Töchter und
lobten den Vater, weil sie nicht jeden Tag kommen könnten, um sich um die
Mutter zu kümmern, vor allem weil sie ein eigenes Leben hatten. Im Sommer
fuhren sie mit dem Wohnwagen an die Ostsee, weil er das fahrende Haus so
umgebaut hatte, dass es dafür geeignet war. Einmal ging es ihr besser, ein andermal
schlechter. Manchmal lachte sie auch, besonders wenn er Witze machte. Aber
alles in allem war das Reisen für sie jetzt eine Qual.
Und dann bekam sie ihren zweiten Infarkt, genau bei
Sonnenuntergang, als sie über eine ein bisschen holprige Strecke fahren
mussten, um einen schönen Standplatz für das Lager zu finden. Er rief die
Rettungswacht. Sie kamen wegen der Straßenverhältnisse mit dem Hubschrauber.
Jetzt wusste er, was er vorher schon geahnt hatte, aber sich nicht
eingestehen wollte. Obwohl seine Frau sehr krank war, wollt sie leben und als
sie im Krankenhaus erwachte und ihn neben sich sah, war sie glücklich und
traurig zugleich. Sie wusste, dass sie sterben würde, wenn sie weiterreisten
und dass sie ihn umbringen würde, wenn sie von ihm verlangte, zu Hause zu
bleiben. Als sie jung waren und mit dem Motorrad einen Ausflug machten, hatte
er zu ihr gesagt, dass er nicht in der Wohnung und noch weniger im Bett
sterben wolle. Nie saß er vor dem Fernseher, umging Bücher von weitem, war
sportlich und verbrachte den größten Teil seiner Zeit an der frischen Luft,
schlief selbst im Sommer lieber im Garten, als im Haus.
Als sie aus dem Krankenhaus entlassen wurde und er sie
nach Hause brachte, war sie nicht glücklich. Fast dreißig Jahre hatten sie
zusammen verbracht, er war ihr immer treu gewesen, liebte sie, aber sie sah,
wie er in ein paar Wochen wie eine Blume ohne Wasser verwelkte. Und eines
Abends, er kam gerade aus der Garage, weil er dort am Wohnwagen etwas
repariert hatte, sagte sie zu ihm: „Ich kann nicht mehr mit ansehen, wie du
an meiner Krankheit mehr leidest, als ich selbst! Wahrscheinlich ist es das
Beste, wenn du aus meinem Leben verschwindest und wir uns beide die
Möglichkeit geben, mit jemandem anders glücklich zu werden. Oder vielleicht
brauchen wir auch niemanden, um zufrieden und ausgeglichen zu leben. Ich kann
nicht aus deinem Leben gehen, weil ich mich nicht mehr bewegen kann, und
sterben will ich nicht. Ich lege die Bürde der Entscheidung auf deine
Schultern.
Danach sprachen sie tagelang nicht miteinander. Eines
Morgens war er dann verschwunden. Niemand wusste, wohin er gegangen war, oder
was er machte. Er hatte den Kontakt zu allen Familienmitgliedern, Verwandten,
Freunden abgebrochen. „Verstanden? Ja, verstanden hätte ihn sowieso keiner!
Und er wusste, dass es keinen Sinn hätte, zu versuchen, es ihnen zu
erklären.“
|
-----------------------------------------------
|
--------------------------------------------------
|
-------------------------------------------------
|
---------------------------------------------------
|
|
Tuesday, 24 November 2015
Subscribe to:
Post Comments (Atom)
No comments:
Post a Comment