Tuesday, 24 November 2015

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Der Schmarotzer und die Fliege

Er zog seinen guten Rock aus dem Schrank. Jeden Tag kontrollierte er ihn, ob sich nicht irgendein Mottentier gerade daran wohltun wolle. Es war ein schönes Stück, ein Geschenk des Landherrn. Diesem Adligen hatte er sowieso alles zu verdanken. Wie und warum war jener überhaupt auf ihn aufmerksam geworden?
Auf seinem Landsitz umgab sich der Großgrundbesitzer mit den unterschiedlichsten Leuten. Ein grundsätzlich freundlicher Mensch, der gern lachte, meistens über seine Gäste. Aber dafür wurden diese auch reich belohnt, indem er sie kleidete, fütterte und ihnen eine Unterkunft zu Verfügung stellte. Das war der Lauf der Dinge, man wurde entweder ganz oben oder ganz unten geboren. Es gab drei Gruppen: Für die Untersten bestand das Leben aus Arbeit, um die Obersten zu finanzieren. Jene wiederum besaßen das Land, verpachteten einen Teil, organisierten den Mühlenbau, oder ließen private Mühlen zerstören und achteten darauf, dass die Hierarchie aufrechterhalten wurde. Dabei halfen ihnen die Spitzel, die Bediensteten, die Kirche und das fehlende Bewusstsein der Untersten. Jene waren sich nicht im Klaren, dass alle nackt geboren werden. Spitzel und Begünstigte informierten die Obersten über Aufwiegler und Abtrünnige.
An diesem Abend hatte der Landherr wieder zu einem kleineren Essen für seine Günstlinge geladen. Alle waren sie gekommen, um ihrem Schutzherrn aufzuwarten. Keiner fehlte, keiner wollte in Ungnade fallen. Herzlich lachten sie auch über seine schlechtesten Witze, besonders wenn er sich über einen seiner schmarotzenden Gäste vergnügte. Man hatte ihn in einen großen Vorsaal geführt. Dort warteten sie nun auf Eure Exzellenz. Neugierig beobachteten sie einander, in der Hoffnung irgendeinen Fehler zu entdecken, den sie dann dem Gastgeber ankündigen konnten, damit dieser daraus einen Witz macht. Am besten lachte er aber doch über die von anderen.
Der Herr des Hauses ließ sie ungefähr eine Stunde warten, bevor er endlich würdevoll mit erhobenem Kopf, oder besser mit gehobener Nase, durch eine große Tür in den Saal trat. Er verlangte von ihnen eine so tiefe Verbeugung, dass manche kopfüber nach vorne fielen, worüber er herzlich lachte. Dies beruhigte die Gäste, weil damit der Abend schon halb erfolgreich und Geschenke seinerseits gesichert waren. Die gute Stimmung des Hausherrn war auch für die Hofdiener das Zeichen, dass das abendliche Mahl beginnen konnte, und so öffnete sich die Flügeltür in den Speisesaal mit der gedeckten Tafel.
Es waren keine Namensschilder aufgestellt worden, so dass jeder wartete, wohin sich wohl der Gastgeber setzen würde. Als dieser nach mehreren Runden um den Tisch seinen Platz gewählt hatte, begann ein Drängeln, weil ihm jeder so nah wie möglich sein wollte, um vielleicht noch größere Gunst zu erringen. Dieses absichtlich veranstaltete Durcheinander erfreute den Landherrn noch mehr.
Endlich wurde die Suppe serviert. Eine Fliege, die schon lange auf das Festmahl gewartet hatte, ließ sich nun herab, um den besten Brocken zu finden. Zuerst kreist sie über der Suppenschüssel, wurde aber durch das ständige Eintauchen des Suppenlöffels gestört. Der Hausherr hatte den ungeladenen Gast bemerkt und beobachtete mit grimmiger Miene, wohin sich der Störenfried setzen würde. Wahrscheinlich roch die Fliege den größten Fleischbrocken bei ihm in seinem Suppenteller. Mehrmals musste er sie verjagen, bevor sie sich entschloss, woanders ihr Glück zu versuchen.
Der Held unserer Geschichte hatte, während alle dem Zug der Fliege gefolgt waren, schnell ein schönes Stück Fleisch ergattert und wollte dies gerade im Ganzen verschlingen, als das freche Tier sich darauf niederließ. Sämtliche Augen waren jetzt gespannt auf ihn gerichtet. Er legte den Löffel nieder und die Fliege verschwand, er führte ihn zum Mund und sie war wieder da. „Was für ein hartnäckiger Geselle!“ – dachte er bei sich. Nach dem vierten Mal ließ er das Fleisch so langsam wie möglich in den Teller zurücksinken, nahm den Fächer der Nachbarin und schlug auf die Fliege. Es platschte gewaltig, wobei auch die neben ihm Befindlichen bespritzt wurden. Er hatte sie nicht getroffen und verfolgte sie mit dem Fächer. „Der Schmarotzer wollte der armen Fliege von seinem Mahl nichts abgeben!“ Immer wieder schlug er nach ihr, so wild fuchtelte er mit dem Fächer um sich, dass er auch seine Nachbarn traf, die natürlich mit Brot- und Gemüsewurf antworteten. Bald entstand eine ganze Schlacht, und der Hausherr amüsierte sich köstlich über diesen Anblick.

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